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Überfall nach Ladenschluß

Überfall nach Ladenschluß

Titel: Überfall nach Ladenschluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Zeitungen erst unterm Arm hielt, dann faltete und in die linke
Außentasche seiner Jacke schob.
    Zehn oder
15 Schritte weiter fiel ihm ein, daß er auf diese Weise den Brief zerdrückte.
    Er blieb
stehen, nahm die Zeitungen heraus und griff in die Tasche.
    Sofort
tauchte die rechte Hand in die rechte Tasche. Aber auch dort war der Brief
nicht.
    Verloren?
Wiedermal! Aber wann? Aber wo?
    Kann nur passiert
sein, dachte er, als ich eben meine Taschen nach der Geldbörse abgesucht habe.
Also beim Kiosk.
    Er beeilte
sich.
    Der Kiosk
für Ausland-Presse lag in einem Seitentrakt des Bahnhofsgebäudes. Als Leonessa
in den Gang einbog, wo der Strom Reisender und Müßiggänger nicht so stark war,
sah er seinen Brief. Er lag auf schmutzigem Steinboden und hatte schon zwei,
drei Tritte erhalten, ohne aber Schaden zu nehmen.
    Der Mafioso
war noch ein Dutzend Schritte entfernt, als sich jemand bückte und den Brief
aufhob.
    Leonessas
Zähne gruben sich in die Unterlippe. Er bremste sein Tempo und fiel ins
Schlendern.
    Es war ein
älterer Mann, der den Brief in der Hand hielt. Verwundert betrachtete er ihn.
Er drehte ihn um, vermißte den Absender, runzelte die Stirn und las die
Anschrift zum zweiten Mal. Daß er sich was dachte, war von seinem Gesicht
abzulesen — einem Gesicht, das aus spitzen Winkeln bestand und an einen
gutmütigen Teufel erinnerte.
    Die ganze
Mühe umsonst!
    Am liebsten
hätte Leonessa den Alten mit dem Messer angegriffen.
    Konnte er
hingehen und sagen: Mein Brief! Her damit! Danke! Konnte er das?
    Unmöglich!
Vielleicht fing die Polizei morgen damit an, die Spottbriefe des Roten zu
veröffentlichen. Sie würde auch mitteilen, wie die Briefe äußerlich beschaffen
waren. Dann konnte sich der Alte melden und den entscheidenden Hinweis liefern,
was hinsichtlich der Personenbeschreibung kein Kunststück war — nicht bei
Leonessas Gesicht.
    Er stand
jetzt neben dem Alten und musterte — scheinbar — die Zeitungen in der Auslage.
    Alter, wirf
ihn in den Papierkorb! Los, avanti! Tu’s! Was willst du damit? Dir nützt er
doch nichts.
    Aber Dr.
Eichhorn schob ihn in die linke Brusttasche seines Sommerjacketts und fand es
sonderbar, daß ein — an die Polizei gerichteter — Brief eine aus
Druckbuchstaben zusammengesetzte Anschrift trug. Das Beste war sicherlich, wenn
er ihn beim Präsidium abgab.
    Auch er
hatte sich eine fremdsprachige Zeitung gekauft, eine englische. Als Philologen (Sprachwissenschaftler)interessierte es ihn nach wie vor, was im Schrifttum geschah.
    Jetzt ging
er quer durch die Halle zum Ausgang. Leonessa folgte ihm. Aber das merkte der
alte Studienrat nicht.
    Zu spät
begriff der Mafioso, daß Eichhorn zum Taxi-Stand wollte. Erst als er sah, daß
der Alte einstieg, machte er kehrt. Er rannte zu seinem Wagen. Aber der parkte
jwd (janz-weit-draußen, scherzhaft für: abgelegen).
    Als
Leonessa mit jaulenden Reifen heranpreschte, war das Taxi verschwunden.
    Wütend
drosch er aufs Lenkrad. Also doch umsonst! Den halben Nachmittag umsonst
geschnippelt und geklebt! Und keine Möglichkeit mehr, dem Alten den Brief
abzunehmen — mit einem Taschendiebtrick, den er von klein auf beherrschte!
    Ein Wagen
hupte ihn an. Er blockierte die Einmündung zum Frachtgutschalter.
    Während er
weiter fuhr, beruhigte er sich. Na, wenn schon! Vielleicht war der Alte ein
Menschenfreund. Vielleicht opferte er eine Briefmarke und schickte den Brief
ab.
    Indes
unterhielt sich Dr. Eichhorn mit dem Taxifahrer. Es war ein junger Mann mit
intelligentem Gesicht: ein Lehrer, wie sich herausstellte, der gerade sein
Studium abgeschlossen hatte, aber leider keine Anstellung fand. Um sich über
Wasser zu halten, arbeitete er aushilfsweise als Taxichauffeur.
    Sie
unterhielten sich angeregt, Dr. Eichhorn und sein — fast 50 Jahre jüngerer —
Kollege: über die allgemeine Misere (Notlage), die Arbeitslosigkeit und
die Situation an den Schulen.
    Als das
Taxi schließlich hielt, hatte Eichhorn den Brief vergessen.
    Er gab ein
großzügiges Trinkgeld und stieg aus. Der Fahrer wünschte ihm einen schönen
Sonntag, und das Taxi entfernte sich.
    Eichhorn
besaß ein kleines Haus in Gartenau, dem ländlichsten Viertel der Stadt. Seine
Gedanken beschäftigten sich noch mit dem Gespräch, als er zur Gartenpforte
ging. Im selben Moment schoß Pedro heran.
    Das war ein
riesiger Mischling unbestimmbarer Herkunft, gutmütig wie ein Lamm und sehr
verspielt mit seinen knapp anderthalb Jahren. Er liebte den Nachbarn Eichhorn,
der immer Hundekuchen

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