Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
allen möglichen Städten über diese Zeit aufzuklären. Ich halte diese Tätigkeit für ziemlich wichtig.“ Holger, 7. Klasse
Ich habe mir nicht notiert, wieviele Schulen ich seit 1989 besuchte und mit wievielen Schülern ich zusammentraf. Zunächst beschränkte ich mich auf den Besuch von Gymnasien und Gesamtschulen, auf Schüler vom 14. Lebensjahr an, also auf das Alter, in dem mir Jugendliche reif genug erschienen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Es war nur logisch, daß sich das Interesse der Jugendlichen und ihrer Lehrer nun auch meinem Buch „Ich trug den gelben Stern“ zuwandte, das 1978 erschienen war. Ich hatte viele Jahre an diesem Buch geschrieben. Um ein Geschehen plastisch darstellen zu können, muß man es im Kopf noch einmal durchleben. Und das fiel mir schwer. Doch ich empfand es als eine der wenigen Überlebenden einfach als Verpflichtung, das Los der Millionen Opfer des Naziregimes aus meiner Sicht darzustellen. Außerdem wollte ich jenen Berlinern ein Denkmal setzen, die meine Mutter und mich über zwei Jahre lang versteckt hatten. Mit ihrem Einsatz für uns bewiesen sie, daß es auch in Nazi-Deutschland möglich gewesen ist, vom Regime zum Tode Verurteilte zu retten, Menschlichkeit zu beweisen, und daß es etliche Menschen gab, die dafür ein Risiko einzugehen bereit waren. Und schließlich wollte ich auch über die Diskriminierungen und Quälereien berichten, denen Juden schon von 1933 an ausgesetzt waren. Angesichts der späteren Massenmorde ist dies nur selten ein Thema. Überdies widerlegt es die Aussage vieler Deutschen, sie hätten von derartigen Verfolgungen ihrer jüdischen Mitbürger in Deutschland nichts gehört, nichts gesehen und nichts gewußt. Denn gerade diese Diskriminierungen fanden in aller Öffentlichkeit statt. In der „Pogromnacht“ (9. November 1938) setzten Nazihorden die meisten Synagogen der Stadt in Brand. Jüdische Geschäfte, die Monate zuvor als solche gekennzeichnet worden waren, wurden zerstört und geplündert. Ab September 1941 mußten Juden einen gelben Stern mit der Aufschrift „Jude“ an ihrem äußeren Kleidungsstück befestigen. Niemand konnte diese und viele andere Diskriminierungen übersehen.
„Ich fand das Buch super. Es hat mich zum Grübeln gebracht.“ Doris, 12 Jahre
Sicherlich zeigt den Jugendlichen die Geschichte der mutigen Retter von Juden eine neue Perspektive auf und hilft ihnen, mit dem scheinbar unauslöschlichen Makel umzugehen, sie gehörten zu einem Volk von Mördern. Häufig berichten mir Jugendliche von solchen Erfahrungen im Ausland, gegen die sie sich nicht zu wehren wissen.
„Ich habe Ihr Buch gelesen. Ich kann nicht sagen, daß es mir gefallen hat, denn was Sie beschreiben, ist doch sehr schrecklich.“ Johanna, 12 Jahre
In den ersten Jahren meiner „Tätigkeit“ als Zeitzeugin in Berliner Schulen lehnte ich es ab, vor Schülern unter 14 Jahren von meinen Erfahrungen zu erzählen. Ich war der Meinung, daß sie zu jung waren, als daß ich sie mit solch fürchterlichen Tatsachen konfrontieren durfte. Ein Bericht über die Verbrechen an unschuldigen Menschen und vor allem an Kindern könnte einen Schock auslösen, würde psychologische Folgen haben, so glaubte ich, und nur Schaden anrichten. Dann überzeugte mich Bruder Lukas aus dem Kloster Maria Laach, daß wir, ich als Autorin und er als Illustrator, gemeinsam ein Buch für Kinder ab 10 Jahren über Otto Weidt und seine Blindenwerkstatt herausgeben sollten. Ich hatte das große Glück gehabt, dort von 1941 bis 1943 arbeiten zu dürfen, und konnte schildern, aus welchem Grund wir Otto Weidt „Papa“ nannten. Das ist dann auch der Titel des Buches, das 1999 erschienen ist. Erst als viele Kinder es lasen, in der Schule oder auch zu Hause, und es verschlangen wie jede andere ihnen angemessene Lektüre, überwand ich mein Zögern, auch Grundschulen zu besuchen.
Das Buch „Papa Weidt“ erzählt die Geschichte eines Mannes, der von den Behörden als „praktisch blind“ anerkannt und berechtigt war, die gelbe Blindenbinde mit den drei schwarzen Punkten zu tragen. Er beschäftigte von 1941 bis 1943 dreißig jüdische Blinde und Taubstumme, betreute und beschützte sie, soweit dies trotz der ständig neuen Gesetze und Verordnungen gegen Juden möglich war. In seiner Werkstatt stellten die Blinden Besen und Bürsten her. Da diese Gegenstände im Krieg Mangelware waren, gelang es Weidt, seine Produkte gegen Eßwaren, Tabak und sogar Kleidungsstücke einzutauschen.
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