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Ufer von Morgen

Ufer von Morgen

Titel: Ufer von Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Unregelmäßigkeit in der Kraftanlage entdeckt. Die blöden Reparaturmaschinen sahen das Nächstliegende nie. »Nur ein kleines Problem«, murmelte er.
    »Werde ich sterben?«
    »Nur, wenn ich die Wartungsanlage nicht bald wieder in Gang bringe. Aber Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ich glaube, ich habe den Schaden schon.« Wilcox reinigte das Verbindungskabel, und die Nadel eines Meßgerätes schwankte hin und her. Er runzelte die Stirn. Hier lag ohne Zweifel der Fehler, aber wie konnte er die Schadstelle isolieren und rechtzeitig ein Ersatzgerät einsetzen? Die Zeit verstrich.
    Vom Bett her: »Du, Junge, wie alt bist du?«
    »Dreiundzwanzig, Sir«, sagte Wilcox, den Mund voller Kadmiumnadeln.
    »Nicht schlecht. Da hast du noch zweiundsiebzig Jahre vor dir, um in die Lage zu kommen, in der ich bin. Stört es dich, wenn ich rede?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Es stört dich also doch? Es lenkt dich ab, und du kannst deine Arbeit nicht richtig machen. Aber reden wir trotzdem. Du bist in der Stadt geboren, nehme ich an?«
    »Wo sonst?«
    »Ja, ja, wo sonst?« Ein trockenes, leises Lachen. »In der Stadt geboren und nie draußen gewesen, wie?«
    Wilcox klemmte vier Zusatzgeräte ab und steckte den Kopf tief in ein summendes Labyrinth von Kühlschlangen. Vorsichtig setzte er den Zustrom von Helium herab. Als er zitternd wieder zum Vorschein kam, um Luft zu holen, sagte der alte Mann: »Bist nie draußen gewesen, was?«
    »Nie.«
    »Drei Generationen lang ist niemand je draußen gewesen. Daß es so sein würde, haben wir uns nicht träumen lassen. Eine gewisse Trennung, ja, aber nicht diese totale, vollkommene Abschließung.«
    »Sir, es macht mir nichts aus, wenn Sie reden, aber vielleicht ermüden Sie sich dadurch, und –«
    »Junge, weißt du, wer ich bin?«
    »Nein, Sir.«
    »Philip Fontana«, sagte der alte Mann.
    »Sie sind einer der Gründer?«
    »Ja, einer der Gründer. Der letzte, der noch am Leben ist, denke ich. Es sei denn, Davies lebt noch. Er ist doch tot, nicht wahr? Davies…«
    »Ich glaube schon«, sagte Wilcox und nahm sich die Sammelschiene vor.
    Der alte Mann fuhr fort: »Wir glaubten, etwas Großartiges zu machen. Tausende von Leuten vor der Verschmutzung draußen zu schützen. New York soll seinen Dreck haben, ja, wenn man dort Methan atmen will, bitte, aber wir, wir… unsere Stadt… unter einer Kuppel… Junge, hast du je daran gedacht, rauszugehen?«
    »Nein, Sir, auf den Gedanken komm’ ich gar nicht.«
    »Du weißt, was geschehen würde, wenn du es tätest?«
    »Ich würde wahrscheinlich würgen und spucken«, sagte Wilcox und schickte einen gleißenden Lichtbogen an den Punkt, wo der Fehler saß.
    »Du würdest in ein paar Stunden tot sein. Ansteckung, Kälte, Schock. Die Bakterien da draußen, die Viren, der Dreck in der Atmosphäre. Da draußen ist’s zu schmutzig, und hier drinnen ist’s zu sauber. Deshalb geht niemand raus. Wir haben eine Metropole von Gefangenen geschaffen, mein Junge, die ihr ›Lebenslänglich‹ absitzen. Meinst du, daß wir das von Anfang an so vorhatten? Nein, nein. Es hat sich nur so entwickelt.«
    »Sir –«
    »Wir hatten das überhaupt nicht vor. Wir haben alles andere geplant, nur das nicht.«
    »Sir, die Meßgeräte zeigen ziemlichen Streß an. Ihre Anlage ist jetzt auf Handregelung eingestellt, wissen Sie, und ich bin kein Arzt. Wenn Sie sich weiter aufregen, muß ich jemanden holen, und dann –«
    »Na gut, ich werde still sein.«
    »Ja, bitte.« Wilcox hatte die Fehlerquelle jetzt von beiden Seiten her abgetrennt. Über die Schulter sagte er zu der Reparaturmaschine, die neben ihm stand: »Führe mir das Ersatzteil zu.«
    Poch.
    Er nahm rasch das Teil und stellte es über das fehlerhafte. Jetzt gab es keine Probleme mehr. Die Arbeit war leicht in der vorgeschriebenen Zeit auszuführen.
    Der alte Mann sagte: »Die Geschichte enthält eine Lehre. Die Wirklichkeit war unbefriedigend, doch wir änderten sie nicht, sondern flohen vor ihr. Wie? Und jetzt haben wir es. Jetzt hast du es. Was haben wir für eine kleine, sterile Welt aufgebaut! Weißt du, mein Junge, was ich machen würde, wenn ich noch am Drücker wäre? Ich würde Luft von draußen hereinlassen, zuerst nur ein bißchen. Ich würde die Leute in der Stadt dazu bringen, sich wieder an die Bedingungen draußen zu gewöhnen. Und nach weiteren drei Generationen würde ich vielleicht die Kuppel wieder abbauen.«
    »Wenn ich mit der Zunge schnalze«, sagte Wilcox zur Reparaturmaschine, »ziehst du

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