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Ufer von Morgen

Ufer von Morgen

Titel: Ufer von Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Männern Gespräche anzuknüpfen und ihnen Fragen zu stellen.
    »Die Männer werden dir überhaupt nichts erzählen«, hatte Paul Chambers, sein Freund im Lehrkörper, lachend gesagt. »Die werden dich für einen Spion der Werksleitung halten und sehr zugeknöpft sein. Soziologische Forschung? Die wissen nicht, was das ist. Warum besorgst du dir nicht lieber Arbeit bei ihnen? Du bist groß und stark. Wenn du es ein bißchen geschickt anstellst, wird man dich selbst für einen Arbeiter halten. Misch dich unter sie, hör, was sie zu sagen haben. Nur auf die Weise lernt man etwas.«
    Chambers’ Vorschlag hatte einiges für sich. In hohen akademischen Kreisen machten sich ein paar Drahtzieher ans Werk. Man tauschte Gefälligkeiten aus, machte einen Handel, und Wilson bekam auf Zeit die Mitgliedskarte einer Gewerkschaft. Ende Juli hatte er im Lagerhaus angefangen zu arbeiten. Es war der zentrale Umschlagplatz einer Kette von Läden, die Möbel auf Kredit verkauften und New York City und New Jersey mit Ware versorgten. Ein Geschoß des fünfstöckigen Lagerhauses gehörte den Büroangestellten und den Technikern, die den zentralen Computer der Firma programmierten. Die oberen vier Geschosse waren Lagerräume, die von vertrockneten alten Angestellten beherrscht wurden. Letztere wußten genau, wo jeder Artikel ihres Bereiches zu finden war.
    Im Erdgeschoß befanden sich die Laderampen. An einer Seite des Lagerhauses kamen die Lastwagen von den Fabriken an und brachten Güter, die entladen und oben gelagert wurden, bis man sie brauchte. Auf der anderen Seite warteten die Lieferwagen der Firma, die zu den Kunden fuhren. Es war ein ständiges Kommen und Gehen, ein Einatmen und Ausatmen, das von dem Computer sorgfältig geregelt wurde, den die Firma gegen Ende der sechziger Jahre aufgestellt hatte. Das Angebot wurde der Nachfrage elektronisch angepaßt, Stilwechsel wurden durch Wahrscheinlichkeitsrechnung vorausbestimmt, und nebenbei füllte der Computer einmal die Woche die Lohntüten, zog Sozialversicherung, Einkommensteuer, Gewerkschaftsabgaben, Krankenversicherung und gesetzlich geregelte Sparrücklagen ab und spuckte das Ergebnis bis auf den letzten Penny genau aus. Wie man wußte, hatte der Rechner nur einmal einen Fehler gemacht, und der war im Lagerhaus Legende geworden. In einem Augenblick der Verwirrung hatte er versucht, einem Mechaniker eine Milliarde achtundsechzig Komma zweiunddreißig Dollar auszuzahlen, und zwar als Wochenlohn. Da ihm das Bargeld fehlte und er unbedingt auszahlen wollte, hatte er hilflos das Störungszeichen gegeben, bis ein Techniker zu Hilfe kam und die Unstimmigkeit löschte.
    Wilson hatte keinen Kontakt mit den blasierten Computertechnikern, auch nicht mit den gequälten Büroangestellten mit den leeren Gesichtern. Wegen der Richtung seiner Untersuchung war er an ihnen nicht interessiert, und außerdem trennte ein weiter gesellschaftlicher Abgrund die Lagerarbeiter des Erdgeschosses von den übrigen Angestellten. Wilson gehörte zu einer Gruppe, die Lastwagen belud. Von acht Uhr bis elf Uhr mit einer Kaffeepause von halb bis dreiviertel zehn hoben er und ein Dutzend weiterer Männer jeden Morgen verpackte Möbel von den Förderbändern und stellten sie unter Anleitung ihres Gruppenvorarbeiters in die Ladeverschläge.
    Während sie arbeiteten, prüfte ein besser ausgebildeter Arbeiter jeden Verschlag nach, ob er mit den Ladebriefen übereinstimmte, die von den Arbeitern der Nachtschicht erstellt worden waren. Der Computer teilte das Gut, das täglich ausgeliefert werden sollte, nach Fassungsvermögen der Lastwagen und nach geographischen Gesichtspunkten auf. Die Leute von der Nachtschicht überprüften diese Listen und gaben sie an die Lageraufseher der Obergeschosse durch, die die benötigten Waren ausfindig machten und sie auf ihren gewundenen Wegen ins Erdgeschoß hinunter schickten.
    Dort stießen sie am Morgen schwitzende Männer an die richtige Stelle der Laderampe und weiter auf die Lastwagen, wenn die Frachtbriefe nachgeprüft waren. Dann ging’s zum Käufer. Das war, dachte sich Wilson, eine erstaunlich wirkungsvolle Maschinerie, die ein Gebiet mit mehr als fünfundzwanzig Millionen Einwohnern mit billigen Möbeln versorgte.
    Als Wilson an seine Arbeitsstelle kam, liefen die Förderbänder schon und brachten die Kisten nach unten. Die meisten anderen Männer waren bereits da.
    »Hallo, Howie«, brummte der Vorarbeiter, der untersetzte kleine Ralph Fletcher.
    »Hallo, Ralph«,

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