Um Mitternacht mit dir im Bett
er. “Ich habe einige Neuzugänge, dazu die ägyptische Sammlung. Da die Galerie aus mehreren Räumen besteht, wird sich die Gesellschaft etwas zerstreuen.”
“Und dann verschwinde ich?”
Er nickte. “Ich komme mit. Niemand wird sich etwas dabei denken, wenn ich mich mit meiner Partnerin kurz zurückziehe Das habe ich bisher immer so gemacht.”
Sie spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust. Michaels Werben um sie war nur ein Spiel. Eins, das er schon viele Male gespielt hatte. Und das hieß, sie musste die tieferen Gefühle für ihn ignorieren, die ihr zunehmend zu schaffen machten.
Litt sie etwa schon unter dem Stockholm-Syndrom, das sich bei Geiseln einstellte, wenn sie nach einer Weile Sympathie für ihre Entführer entwickelten? Aber Michael hielt sie nicht direkt als Geisel. Und sie war nicht ganz unschuldig an ihrer misslichen Lage. Sie war freiwillig in die Wolfshöhle gegangen.
Wollte sie ohne größeren Schaden wieder da herauskommen, musste sie den Tatsachen ins Auge sehen. Vielleicht bekäme sie ja einen klaren Kopf, wenn sie die Villa einmal kurz verließ. “Darf ich vorher nach Hause und mir was zum Anziehen holen?”
Sie hätte sich die Frage sparen können. “Nein. Darum kümmere ich mich.”
Sie tröstete sich damit, dass dies endlich die Gelegenheit wäre – womöglich die einzige –, an Seamus’ Safe heranzukommen. Danach würde Michael sie ihrer Wege ziehen lassen.
“Was hältst du von Blair?”, erkundigte er sich unvermittelt, als sie in die Hauptgalerie zurückgingen.
“Anfangs mochte ich sie nicht besonders. Aber jetzt habe ich Mitleid mit ihr.”
Er blieb stehen. “Du machst Witze.”
Sie sah ihn offen an. “Keineswegs. Ich halte sie für eine zutiefst verunsicherte Frau.”
Ungläubig schüttelte er den Kopf. “Du kennst sie eben nicht.”
“Ich war heute Nachmittag bei ihr zum Tee eingeladen. Sie ist anscheinend sehr … einsam. Vielleicht kommt sie sich in dem großen Haus verloren vor, dazu noch mit zwei so beherrschenden Männern.”
“Kommst du dir hier auch verloren vor?”, fragte er leise.
Sarah zögerte mit der Antwort. Was würde er sagen, wenn sie ihm die Wahrheit gestand? Dass sie hier richtig aufgelebt war und erst jetzt gemerkt hatte, wie langweilig bisher ihr Alltag verlaufen war.
“Nein”, erwiderte sie schließlich. “Du etwa?”
Er sah sie lange an, dann wandte er sich zum Gehen. “Wahrscheinlich ist mein Großvater inzwischen wieder wach.”
Sarah folgte ihm. Wich er immer den Themen aus, die ihm unangenehm waren? Als sie am Porträt seines Vaters vorbeikamen, beschäftigte sie eine weitere Frage. “Wie ist deine Mutter gestorben?”
An der Tür drehte Michael sich um. “Wie kommst du auf die Idee, sie wäre tot?”
Sarah war verblüfft. Seamus hatte stets von ihr in der Vergangenheitsform gesprochen. “Sie lebt noch?”
Ein Muskel an seinem Kinn zuckte. “Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Sie verließ uns, als ich neun war.” Damit eilte er davon.
Sarah blieb allein in der riesigen Galerie zurück und dachte an ihre eigene Familie, an ihre Eltern und Großeltern. Sie hatten alle eng beisammen in dem kleinen Haus gewohnt und waren aufeinander angewiesen gewesen. Meistens fühlten sie sich glücklich in dem Bewusstsein gegenseitiger Liebe. Auch wenn diese Liebe mitunter zu weit ging – wie bei ihrem Großvater.
Sie dachte an die Beerdigung ihrer Großmutter. Ihr Großvater war am Grab zusammengebrochen. Noch Monate danach war ihr das Haus still und einsam erschienen. Und selbst nach all den Jahren vermisste Sarah sie schmerzlich.
Trotz aller Schwierigkeiten würde sie ihre Familie um nichts in der Welt eintauschen wollen.
Michael dagegen, der alle erstrebenswerten Güter besaß, hatte Vater und Mutter verloren. Kein Wunder, dass er so sehr nach Macht strebte, war er doch als Kind so ohnmächtig gewesen.
Das versuchte er jetzt zu kompensieren. Deshalb wollte er Blair des versuchten Mordes überführen. Und deshalb war er sogar bereit, in den Safe seines Großvaters einzubrechen.
Sie hoffte nur für ihn, dass er den Rest von Familie, den er noch besaß, darüber nicht verlor.
Als Sarah am Samstagabend in ihr Zimmer kam, fand sie auf dem Bett ausgebreitet ein weißes Abendkleid zusammen mit hauchdünner seidener Unterwäsche und einem Paar silberner Riemchensandaletten.
Nachdem sie sich frisiert, geschminkt und angekleidet hatte, drehte sie sich vor dem dreiteiligen Spiegel und konnte es kaum fassen, dass diese
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