Umzug ins Glück
bis er alles herausgefunden hatte. Dabei
ist das gar nicht so einfach. Oft reicht so eine Sache über Staatsgrenzen hinaus, sodass man es nicht nur mit einer anderen
Sprache, sondern auch mit anderen Gesetzen zu tun hat. Manchmal braucht es wirklich detektivischen Spürsinn und ebensolche
Kleinarbeit, und darin ist er gut. Und weil er sich jetzt in Sachen Engelhardt vertan hatte, musste ich es ausbaden.
Immerhin hatte diese arbeitsrechtlich nicht ganz koschere Sache mir die Telefonnummer eines Versicherungsvertreters in Buxtehude
eingebracht, und ich fragte Doris gar nicht erst, wie sie die herausgefunden hatte. Lieber schlich ich mich an meinen Platz
und begann, die Briefe zu schreiben, die Horst diktiert hatte, um den armen Engelhardt-Erben klarzumachen, dass sie sich die
erhofften Millionen von der Backe putzen konnten.
Wenn ich aber gedacht hatte, dieser Morgen sei nicht zu toppen, dann hatte ich im wahrsten Sinne des Wortes das Sprichwort
vom Tag ignoriert, den man nicht vor dem Abend loben soll. Auch wenn ich diesen Tag überhaupt nicht loben wollte, das hatte
er nicht verdient. Aber er hatte auch nicht diesen Abschluss verdient.
Ich wollte mich nämlich an diesem Freitagabend mit Lea und Ines beim Chinesen treffen, damit sich die beiden mal kennenlernen
konnten. Das hatte ich mir schön vorgestellt, so ähnlich wie die älteren Damen, die sich manchmal als Hobbykupplerinnen betätigen
und ungefähr nach dem Prinzip vorgehen: »Sie fahren beide einen Golf und tragen blaue Barbour-Jacken, da müssen sie sich einfach
ineinander verlieben!«
In diesem Fall verband Lea und Ines nur, dass sie Vegetarierinnenwaren und sich dem Buddhismus zugewandt hatten. Ansonsten hatten sie aber auch gar nichts gemeinsam bis zu dem Moment, als
ich die knusprig gebratene Ente bestellen wollte. Ich war schließlich weder Buddhist noch Vegetarier.
Ich liebe Ente, sie ist einer der Gründe, weshalb ich zum Chinesen gehe. Nun gilt natürlich dort das Prinzip, dass jeder von
jedem Gericht probiert, deshalb wollte ich die Ente sozusagen als zusätzlichen Sonderteller bestellen, aber nicht einmal das
erlaubten sie mir.
Während ich also mit einer gewissen Enttäuschung die Gemüsesuppe, die fleischlose Frühlingsrolle und die sich sehr ähnelnde
Auswahl von Gerichten mit Pilzen, Tofu und Paprika in mich hineinlöffelte, begannen Lea und Ines ein sehr engagiertes Gespräch
darüber, was an den Überzeugungen der anderen jeweils falsch war. Ich saß eher dabei wie ein Gefängniswärter während der Besuchszeit.
Meine Aufgabe war es, im Zweifelsfall einzugreifen, wenn ich den Verdacht hatte, dass die Regeln verletzt wurden.
»Moment mal, Ines, du musst Lea nicht gleich den Kopf abreißen, nur weil sie das Wort ›Glück‹ verwendet hat.«
»Glück ist eine Vokabel, die in der wahrhaften Lehrenicht vorkommt«, belehrte mich Ines, während sie mit ihren Stäbchen geschickt
ein Stück Brokkoli aufhob. Ihre Stärke war die jahrelange Erfahrung. Sie konnte mit einer derartigen Geschwindigkeit irgendwelche
Weisheiten zitieren, dass selbst ein Fischmarkt-Auktionator vor Neid erblasst wäre.
Leas Vorteil war die Begeisterung der Neubekehrten. Sie hielt dagegen, dass Glück ein Grundbedürfnis der Menschen sei – schon
die amerikanische Verfassung habe das erkannt.
Großer Fehler. Dieses Argument wurde natürlich von Ines total niedergemacht, weil sie zu Recht behaupten konnte, die amerikanische
Verfassung habe mit Buddhismus aber auch gar nichts zu tun. Vielmehr habe der erleuchtete Gautama schon erkannt, dass der
Mensch durch Begierde geprägt sei und das nur ablegen könnte, wenn er sich von diesen irdischen Begriffen frei mache.
»Aber während er danach strebt«, behauptete Lea hartnäckig, »erreicht er einen solchen inneren Reichtum, dass er …«
»Ha! Reichtum! Schon wieder so ein Unwort!«, rief Ines mit Abscheu in der Stimme. »Der wahre Erleuchtete sucht sich mit dem
Nichts zu vereinigen, da ist jede Form von Ansammlung kontraproduktiv, ob nun an konkreten Dingen oder an abstrakten.«
Als ich das so hörte, klang es einerseits sehr verlockend: sich in Meditation versenken, nach der Vereinigung mit dem Nichts
streben, nichts mehr ansammeln, sondern sich ganz von den Dingen entfernen … Aber andererseits verstand ich nicht, wie das im praktischen Leben möglich sein sollte. Immerhin saß Ines sehr real vor
mir, in einem beneidenswerten Outfit von Hugo Boss, nach dem sie
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