Umzug ins Glück
Weinfeststimmung. Jetzt ist sie unzufrieden, dass ich sie nicht
jede Woche besuche, dass alles so teuer geworden ist und dass ihr das Knie weh tut, dass sie im zweiten Stock wohnt und das
Haus keinen Aufzug hat, dass Heinz Rühmann tot ist und keine Filme mehr dreht und dass ihre Freundin Hedy jetzt im Altenheim
ist und sie nicht mehr besuchen kann und was sonst noch. Ich sage dir, Mia, so will ich nicht enden. Man muss über sein weiteres
Leben rechtzeitig entscheiden. Also jetzt.«
»Damit willst du mir was sagen, ja? Ich soll nicht in meinem Haus wohnen bleiben, bis ich ein schlechtes Knie habe und meine
Freundinnen im Altersheim sind?« Wieder mal guckte ich etwas beleidigt aus dem Beifahrerfenster.
Er schüttelte heftig den Kopf. »Meine Güte, Mia, nun sei nicht unfair. Ich habe gesagt, du sollst dir Zeitnehmen, und dazu stehe ich auch. Aber du sollst dich bewusst entscheiden und nicht eines Tages darüber klagen, wie schlimm
alles geworden ist. Das solltest du schon Magnus nicht antun.«
Ich seufzte tief. »Magnus hat gesagt, dass ich in einem Mausoleum wohne.«
Nick warf mir einen Blick zu und sah dann wieder auf die Straße. »Und? Hat er recht?«
Ich nahm sehr wohl wahr, dass er mir die Beurteilung überließ. Selber würde er vermutlich eher Magnus zustimmen. »Ich weiß
nicht. Ich muss mal darüber nachdenken. Natürlich hänge ich an den Dingen, die mich mit Stephan verbinden.«
»Das ist ja auch in Ordnung«, sagte er. »Aber das ist vermutlich wie mit der Salami. Man kann zwei Scheibchen essen oder zwanzig.
Man kann drei Souvenirs haben oder dreihundert. Ändert das was an der Intensität der Gefühle?«
Ich schwieg betroffen. Manchmal hatte er so eine unangenehm treffsichere Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen.
»Neulich habe ich gelesen, dass jeder Mensch durchschnittlich zehntausend Dinge besitzt«, fuhr er fort. »Stell dir das mal
vor. Im Durchschnitt. Das heißt, es gibt Leute, die haben deutlich weniger. Aber manche haben auch deutlich mehr. Zehntausend
Teile. Und damit ist nicht jedes einzelne Puzzleteil in der Schachtel gemeint.«
»Das klingt sehr viel«, sagte ich. Natürlich war es auch eine Sache der Interpretation. Zum Beispiel meine Babuschka-Figuren
auf dem Sideboard. Zählten die als acht einzelne Puppen oder als ein Set?
»Finde ich auch«, meinte Nick. »Und dann denke ich: Was will man mit all den Sachen? Muss man die haben? Ist man mit zehn
Jeans glücklicher als mit fünf? Wennman genug Geschirr für zwanzig Personen hat, dann kann man sich doch zusätzliche Teller leihen, wenn man mal mehr als zwanzig
Leute zu Besuch hat, oder? Oder muss man sich jeden Videofilm kaufen, den man mal sehen möchte? Die meisten kann man sich
auch ausleihen, weil man sie kein zweites Mal anschaut.«
»Da hast du ein großes Fass aufgemacht«, sagte ich nachdenklich. »So schnell kann ich mir dazu gar keine Meinung bilden.«
Zumal er gerade auf den Parkplatz der Autowerkstatt einbog und ich den Omega schon erkennen konnte.
»Vielleicht können wir ja mal weiter darüber reden«, schlug er vor. »Heute kann ich leider nicht, weil ich Freitagabend immer
mit ein paar Freunden Badminton spiele, aber hättest du morgen Lust, mit mir zu Abend zu essen?«
»Morgen? Da kann ich nicht. Meine Freundin Ines hat einen Gutschein für das Saunadorf in Romfeld, da wollten wir morgen zusammen
hin.«
»Na dann, viel Spaß beim Schwitzen. Und was ist mit Sonntag?«
»Sonntag … da war doch was …«
»Siehst du? Amnesie!«, lachte Nick. »Da ist die Lesung im Haus Silvretta. Aber die wird ja wohl nicht bis abends dauern.«
»Na gut, dann sagen wir Sonntag«, stimmte ich mit einer Spur Unbehagen zu. Wenn Nick solche Pläne verfolgte, war ich traditionell
argwöhnisch. »Und wo willst du hingehen?«
»Ich dachte, du kommst mal zu mir«, sagte er. »Du warst noch nie in meiner Wohnung.«
»Das könnte sein.«
»Also, halb acht bei mir? Egal ob wir vorher Jan Hörnums Lesung lauschen oder nicht? Ich werde für dich kochen.«
»Na, da bin ich aber gespannt«, sagte ich. Es sollte scherzhaft klingen.
Nick lachte aber nicht. »Das kannst du auch sein«, sagte er.
Ich fuhr mit dem reparierten Omega nach Hause. Unterwegs fiel mir plötzlich auf, was mich an diesem Auto alles störte: Es
hatte keine Sitzheizung. Das Radio hatte noch keinen C D-Spieler . Die Zentralverriegelung, damals Stephans ganzer Stolz, funktionierte schon lange nicht mehr. Und der
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