Unbefugtes Betreten
stellvertretend für etwas Großes, Pars pro Toto und so. War das Litotes? Hendiadyoin? Anakoluth?«
»Keine Ahnung. Für mich klingt das alles wie die Namen griechischer Ferienorte.«
»Was ich eigentlich sagen wollte: Wir sprechen nie über die Liebe.«
»…«
»…«
»…«
»…«
»…«
»…«
»Genau das meine ich.«
»Ein Freund von mir hat einmal gesagt, er glaubt nicht, dassman länger als zwei Wochen am Stück glücklich sein kann.«
»Wer war das arme Schwein?«
»Ein Freund von mir.«
»Sehr verdächtig.«
»Wieso?«
»Na ja, ›ein Freund von mir‹ – kann sich noch jemand an Matthew erinnern? Ja? Nein? Er war ein großer coureur de femmes .«
»Könntest du uns das bitte mal übersetzen?«
»Oh, er vögelte für England. Der hatte eine unglaubliche Energie. Und war immer … interessiert. Wie auch immer, es kam der Punkt, als – wie soll ich mich ausdrücken? – als Frauen beim Sex immer häufiger Hand an sich legten.«
»Und ab wann genau, würdest du sagen, war das so?«
»Zwischen der Aufhebung des Verbots von Lady Chatterley und der ersten LP der Beatles?«
»Schönen Dank für das Larkin-Zitat, aber ich glaube, das war später. Eher in den Siebzigern …«
»Jedenfalls hat Matthew diese … soziodigitale Veränderung früher als andere festgestellt, weil er nun mal mehr Feldforschung betrieben hat, und hat beschlossen, eine Frau darauf anzusprechen – keine Geliebte, keine Ehemalige, sondern eine Freundin, mit der er besonders gut reden konnte. Eine Vertraute. Also hat er eines Tages, als sie zusammen etwas getrunken haben, möglichst beiläufig gesagt: › Ein Freund von mir hat mir neulich erzählt, er habe festgestellt, dass die Frauen beim Sex jetzt häufiger ihre Finger einsetzen.‹ Worauf diese Frau gesagt hat: ›Dann hat dein Freund wohl einen winzigen Schwanz. Oder er weiß nichts Gescheites damit anzustellen.‹«
»Worauf er die Flagge gestrichen haben dürfte.«
»Er ist gestorben. Ziemlich jung. Hirntumor.«
»EinFreund von mir –«
»Ist das jetzt ›ein Freund von mir‹ oder ›ein Freund von mir‹ ?«
»Will. Erinnert ihr euch an ihn? Der hatte Krebs. Ein großer Trinker, ein großer Raucher und ein großer Frauenverschleißer. Ich weiß noch, wo der Krebs schon überall war, als sie ihn entdeckten: in der Leber, der Lunge und der Harnröhre.«
»So viel zum Thema ›ausgleichende Gerechtigkeit‹.«
»Aber das ist doch komisch, findet ihr nicht?«
»Soll das heißen, Matthew ist an einem Hirntumor gestorben, weil er zu viel gevögelt hat? Wo ist da der Zusammenhang?«
»Vielleicht hatte er einfach zu viel Sex im Kopf.«
»Und das ist nun mal der schlechteste Ort, um Sex zu haben.«
»Die Liebe.«
»Gesundheit!«
»Ich habe mal gelesen, dass man in Frankreich, wenn man jemand diskret darauf aufmerksam machen wollte, dass sein Hosenstall offen stand, dass man dann also gesagt hat: › Vive l’Empereur ‹. Aber gehört habe ich das noch nie. Und auch nicht wirklich kapiert.«
»Vielleicht finden die, die Spitze eines Pimmels sehe aus wie der Kopf von Napoleon.«
»Deiner vielleicht.«
»Oder dieser Hut, den er auf Karikaturen immer trägt.«
»Ich hasse das Wort ›Pimmel‹. Noch schlimmer ist das Verb dazu. ›Er pimmelte sie.‹ Kotz.«
»Die Liebe .«
»…«
»…«
»…«
»Gut.Es freut mich, dass ihr mir jetzt zuhört. Darüber reden wir nicht. Über die Liebe.«
»Brr. Halt, alter Junge. Wir wollen hier nicht die Pferde scheu machen.«
»Als Ausländer vom Dienst wird Larry mir recht geben.«
»Als ich zum ersten Mal rüberkam, da fiel mir vor allem auf, dass ihr immerzu Witze macht und ständig ›cunt‹ sagt.«
»Meinst du jetzt ›cunt‹ im ursprünglichen Sinn von ›weibliches Geschlechtsteil‹ oder im Sinne von ›Arschloch‹ oder ›Sau‹? Und willst du mir damit sagen, ihr Amerikaner verwendet dieses Wort nicht?«
»Jedenfalls nicht in Anwesenheit von Frauen.«
»Wie merkwürdig. Und in Anbetracht seiner ursprünglichen Bedeutung nicht ohne Ironie.«
»Vielen Dank, Larry, genau das meine ich doch. Statt ernsthaft zu sein, machen wir Witze, und statt über die Liebe zu reden, reden wir über Sex.«
»Ich finde, Witze sind eine gute Möglichkeit, ernsthaft zu sein. Oft die beste.«
»So was kann nur ein Engländer denken oder sagen.«
»Soll ich mich jetzt dafür entschuldigen, Engländer zu sein, oder wie oder was?«
»Deswegen brauchst du doch nicht gleich auf die Barrikaden zu
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