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Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Winter
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nicht.
    Sie bemüht sich um einen möglichst sanften, aufmunternden Ton. »Dafür sind Freunde doch da, Bob. Wie sollen sie dir in dieser schweren Zeit helfen, wenn du sie nicht lässt?«
    Er denkt über ihren Einwand nach, doch als sie schon fast glaubt, ihn überzeugt zu haben, schüttelt er den Kopf.
    »Nein. Keiner erfährt es.«
    Selbst für Bobs und Carols überschaubaren Freundeskreis hält sich die Gästezahl sehr in Grenzen. Carol lag mit ihrer Vermutung richtig: Niemand fühlt sich verpflichtet, mitten in der Woche im hintersten Winkel von Croydon an Bobs spontaner Party teilzunehmen. Dass überhaupt jemand gekommen ist, wäre eigentlich nur dann erwähnenswert, wenn es sich bei der Handvoll Leute, die sich tatsächlich eingefunden haben, nicht um die allerletzten Loser handeln würde. Bobs Mutter ist da, auch wenn man sie kaum bemerkt. Von Natur aus eine Einzelgängerin, unternimmt sie nur hin und wieder einen heimlichen Vorstoß zu den Pringles, um sich anschließend sofort wieder in den Schutz einer Wohnzimmerecke zu verkriechen. Manchmal streift sie auch durch das Haus, auf der Suche nach einem Plätzchen, wo sie die erbeuteten Chips ungestört in sich hineinstopfen kann. Carols Eltern sind ebenfalls gekommen. Kein Wunder. Immer noch besser, als daheim zu sitzen und sich gegenseitig anzufeinden. Und in Gesellschaft hasst es sich doch gleich noch mal so gut.
    Bei den anderen Gästen handelt es sich fast ausschließlich um Kollegen von Bob – weniger Freunde als völlig überflüssiger Ballast.
    »Gibt’s hier auch Johnny Walker?«, fragt einer von ihnen, während er sich einen großen Becher Rotwein eingießt.
    Carol sieht stumm zu, wie er ihn in einem Zug leert und sich postwendend nachschenkt. »Nein.«
    Er schwenkt die nur noch halbvolle Flasche. »Dann behalte ich die wohl mal lieber bei mir.«
    Obwohl es draußen dunkel ist, erscheint ein Kollege mit Sonnenbrille, entweder zum Schutz vor Paparazzi oder um von seinen Geheimratsecken und den üppig rieselnden Haarschuppen abzulenken. Als er Carol erblickt, leuchten seine Augen auf.
    »Hallöchen, schöne Frau«, flötet er, für diesen Teil von London eine Spur zu überschwänglich. »Wir haben uns ja schon viel zu lange nicht mehr gesehen.« Er zieht sie an sich – und an die Beule in seiner Hose.
    Carol weiß nicht, was sie sagen soll. Schließlich deutet sie nur auf den Tisch mit dem Essen. »Bitte sehr, bedienen Sie sich.«
    Beim Anblick der traurigen Truppe überkommt sie der Drang, diese Leute im Wohnzimmer einzuschließen und ihnen das Haus über dem Kopf anzustecken, sie auf einen Schlag mit Stumpf und Stiel auszurotten. Sie malt sich aus, wie sie schreiend an die Türen und Fenster hämmern, wie das Geschrei nach und nach immer leiser wird, erstickt von dichtem, beißendem Qualm, das Haus ein einziger Feuerball. Bis nichts mehr verrät, dass hier einmal Menschen waren, nur der schwache Geruch nach verkohltem Fleisch in der kühlen Abendluft. Der Gedanke ist so verlockend, dass sie ihn am liebsten sofort in die Tat umsetzen würde. Wenn nur die Logistik nicht wäre. Eine lahme Party zu organisieren ist einfach, einen Mord zu planen wesentlich zeitaufwändiger.
    Ihr Blick fällt auf Bob, das Superhirn, der dieses zähe Trauerspiel erdacht hat. Trotz seiner Begeisterung für die Party mischt er sich kaum unters feiernde Volk. Er drückt sich stattdessen bei den Getränken herum und nuckelt so eifrig an einer Flasche Bier, dass er für seine Gäste höchstens ein Kopfnicken erübrigen kann. Nur wenn seine Mutter auf einem ihrer Pringles-Raubzüge an ihm vorbeihuscht, wechselt er ein paar Worte mit ihr, aber so leise, dass Carol nichts davon versteht. Da die beiden kein besonders liebevolles Verhältnis haben, kann es genauso gut sein, dass er sie anpöbelt: »Hoffentlich erstickst du dran.« So in der Richtung.
    Carol macht es wie immer: Sie kümmert sich um die Wünsche von Menschen, die sie lieber tot sehen würde. Während sie den Nudelsalat auffüllt, fragt sie sich, was nun eigentlich werden soll. Für Bob sollte diese Party so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm sein, ein letztes großes Fest, bevor die Krankheit ihn womöglich niederstreckt. Aber wenn das hier der Silberstreif am Horizont sein soll, möchte sie gar nicht erst wissen, wie die Gewitterwolken aussehen.
    Sie bringt die Schüssel ins Wohnzimmer. »Mehr Salat!«, verkündet sie.
    »Hast du diesmal Salz drangetan?«, fragt ihre Mutter. »Die letzten Nudeln waren doch sehr

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