Und dann kam Paulette (German Edition)
auf dem Hof, brachten sie die Sachen in das Zimmer, das die Kinder für das Cello ausgeguckt hatten. Im Erdgeschoss, nicht weit von der Küche entfernt. Eine kleine Kammer und sehr hell. Ganz anders als in ihrem Haus.
Sie hatte sich für dieses Zimmer entschieden, weil das Fenster zum Stall ging, in dem Cornélius untergebracht war. Sie sehen zu können, würde den Esel beruhigen, und sie wiederum könnte auf ihn aufpassen. Kaum war er im Stall, untersuchte er den Riegel, der die Tür zu seiner Box verschloss. Es würde nicht lange dauern, dann wüsste er, wie man ihn öffnet. Zwei oder drei Tage höchstens. Die Frage war, was er dann tat, wenn er nach draußen konnte. Er ist ein Esel, der gerne frei herumspaziert, die Umgebung inspiziert, vor allem den Gemüsegarten. Ferdinand wird es kaum gefallen, seine Hufabdrücke mitten in den Beeten zu finden. Sie war die Einzige, die das lustig fand. Wobei, auch nicht immer …
Sie räumt ihre Sachen ein, doch ein Geräusch lässt sie herumfahren, sie erschrickt. Ein Paar Nüstern kleben an der Scheibe, Cornélius sieht sie vorwurfsvoll an.
Sie muss sich wohl Vorhänge ans Fenster hängen, wenn sie ein bisschen Privatsphäre haben will.
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19
Guy und Gaby
Guy kämmt Gaby die Haare. Sie sind ganz dünn und brüchig, er hat Angst, sie zu hart zu traktieren, berührt sie nur ganz leicht mit der Bürste, streicht sie vorsichtig glatt. Als er fertig ist, fragt er, ob sie eine Haarspange tragen möchte. Das will sie gern. Er sucht seine Lieblingsspange heraus, die mit der großen weißen Blume. Eine Kamelie, stimmt’s? Sie protestiert. Sie hat es ihm schon tausendmal erklärt: Gar-de-nie. Er kann es sich nicht merken. So, jetzt ist sie fertig. Er lächelt ihr zu. Sie sieht in seinen Augen, dass er sie hübsch findet. Seit sie zurück ist, bringt er ihr nicht mehr den Spiegel, weicht aus, behauptet, er hätte ihn verlegt, wenn sie danach fragt. Sie nimmt an, dass er ihn zerbrochen hat und es ihr nicht sagen will. Wie ein kleiner Junge, der Angst hat, dass er Schelte bekommt, und darum lügt. Ein bisschen lügt. Nicht zu sehr. Gerade so viel wie nötig. Was den Spiegel betrifft, würde es ihr nichts ausmachen zu erfahren, dass er zersplittert ist, ganz im Gegenteil. Seit einiger Zeit schaut sie nicht mehr gern hinein. Irgendwie muss Wasser eingedrungen sein, oder die Rückseite hat sich verzogen, sie erkennt ihr Spiegelbild nicht wieder. In Guys Augen ist sie jedenfalls immer noch Gaby. Er bleibt nicht an der Oberfläche hängen. Wie dieser billige Spiegel. Er sucht sie dort, wo sie sich versteckt hat, lässt sie in seiner Liebe erstrahlen.
Mit ihm an ihrer Seite weiß sie, dass sie keine Angst haben wird, wenn die Zeit gekommen ist.
Guy hat Kekse ausgepackt und für die Gäste Tee und Kaffee gekocht.
Ferdinand und er gehen eine Runde in den Garten, sie wollen eine Pfeife rauchen, während Marceline Gaby die Beine massiert. Das tut ihr gut. Sie liegt seit zwei Wochen im Bett, steht nicht mehr auf, fühlt sich, als ob ihr Blut nicht mehr zirkuliert. Jetzt kommt ihr Kreislauf wieder in Schwung. Sofort ist ihr nicht mehr so kalt. Sie würde sich gern unterhalten, bittet Marceline, näher an ihren Mund heranzukommen. Dann braucht sie ihre Stimme nicht so sehr anzustrengen. Obwohl sie rappeldürr ist, völlig erschöpft und Mühe hat zu atmen, blitzt in ihren Augen immer noch Freude auf. Sie fragt nach Cornélius, was hat er sich wieder einfallen lassen, dein Esel, um dich zum Lachen zu bringen? Marceline erzählt ihr von dem Riegel am Gatter, den er mittlerweile öffnen kann, von seinem Spaziergang durch den Gemüsegarten und den zertrampelten Kohlköpfen als Strafe dafür, dass sie ihn eine Nacht alleingelassen hat. Verflixtes Mistvieh. Ihr Lächeln erstirbt. Ja, du siehst, Marceline, meine Liebe, dass ich auf dem Absprung bin. Ja, Gaby, das sehe ich. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht, ich vermisse schon ganz viele Dinge. Welche denn? Sag schon. Ich würde gern noch ein letztes Mal das Frühjahr erleben, die Knospen an den Bäumen, den Weißdorn, den Fliederduft, das Summen der Bienen, die Honig sammeln … Was noch? Dich Cello spielen hören. Ach, Gaby, bitte … Erinnerst du dich an die CD, die du mir einmal vorgespielt hast? Wunderschöne Musik. Aber Gaby, du weißt genau, dass ich es nicht kann … Schade. Es würde mir einfach nur Freude machen, das ist alles. Geh schnell Ferdinand holen, sonst bin ich zu müde, um mich mit ihm zu
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