und das geheimnisvolle Erbe
hatte ich vertraulich mit Stan sprechen wollen, ein Vorhaben, das schwer genug auszuführen war, solange sich jemand in Rufweite befand, aber völlig unmöglich, wenn sich ein Dritter im selben Zimmer aufhielt. Als es mir endlich gelang, das Wort zu ergreifen, sah ich Bill streng an und sagte: »Was ich jetzt mit Stan besprechen möchte, soll eine Überraschung werden. Wenn Ihr Vater davon auch nur das Geringste erfährt, dann werde ich …«
»Lass ihn in Ruhe, Lori«, sagte Stan. »Um Himmels willen, schließlich ist er Rechtsanwalt. Er kann den Mund schon halten. Und überhaupt, was soll das denn für ein Geheimnis sein?«
Ich erklärte, was ich wollte, und wie erwartet, wusste Stan, wo man es herkriegen könnte. Er rief sogar an, um sich zu vergewissern, dass das Ge-wünschte erhältlich sei, ehe er uns an die Tür begleitete.
»Diesmal hast du auf einen Sieger gesetzt, Lori«, sagte er.
»Stan, Bill ist nicht …«, fing ich an, aber Stan schlug Bill schon wieder auf die Schulter.
»Passen Sie gut auf sie auf, Willis«, sagte er,
»oder Sie müssen sich vor mir verantworten.«
Klugerweise sagte Bill nichts.
Nach einer kurzen Fahrt fanden wir uns in einem kleinen, schlecht beleuchteten Laden wieder, der einem Mr Trevor Douglas gehörte; er handelte mit alten Landkarten. Stans Anruf hatte bewirkt, dass Mr Douglas bereits ein Prachtstück für mich ausge-graben hatte: eine fein gezeichnete und in ihrer Unvollständigkeit faszinierende Karte der arktischen Eiswüste aus dem Jahre 1876; das Ergebnis vieler wagemutiger Unternehmungen, zerronnener Träu-me und verlorener Leben. Mr Douglas versprach, sie rahmen zu lassen und so bald wie möglich zum Haus von Willis & Willis zu schicken. Der Preis erschreckte mich, aber ich betrachtete die Karte als eine sehr notwendige Ausgabe. Nichts würde meinem Seelenfrieden zuträglicher sein als der Gedanke daran, wie Willis senior sich freuen würde, wenn er das Paket öffnete.
Am nächsten Tag frühstückten wir mit Willis senior im kleinen Speisezimmer, als Bill von seinem Toast mit Marmelade hochsah. »Lori, ich habe über etwas nachgedacht. Du warst in deiner Wohnung und in der Agentur, und du hast dich von deinem alten Chef verabschiedet, aber wie ist es mit deinen Freunden?«
»Mit meinen Freunden?«
»Willst du dich nicht auch von ihnen verabschieden? Oder ihnen wenigstens sagen, was los ist?«
»Also, ich …« Ich ließ unentschlossen den Eier-becher zwischen den Fingern kreisen. Was hätte ich ihm sagen sollen? Im Laufe des letzten Jahres hatte ich die meisten meiner Freunde aus den Augen verloren.
»Ja, Miss Shepherd«, sagte auch Willis senior,
»Sie dürfen sich durch Ihre große Bescheidenheit nicht davon abhalten lassen, Ihre Freunde zu besuchen, ehe Sie abreisen. Es wäre bestimmt in Miss Westwoods Sinn.« Vater und Sohn sahen mich an und hielten auf die gleiche Art erwartungsvoll den Kopf geneigt, und ich kam mir vor wie ein unhöflicher Trampel.
»Es gibt schon jemanden, von der ich mich gern verabschieden würde«, gab ich schließlich zu, »aber sie wohnt nicht in Boston.«
»Macht doch nichts«, sagte Bill.
Ich sah Willis senior an, und er nickte.
»In Ordnung«, sagte ich, »ich werde sie anrufen.«
Meg Thomson war eine untersetzte Frau, ziemlich kurz angebunden und mit einem sehr ausgeprägten Mutterinstinkt ausgestattet. Wenn Meg fand, dass sie einem etwas sagen müsse, das nur gut für einen sei, dann bekam man es zu hören, ob man wollte oder nicht. Und sie war treu wie Gold. Sie wohnte in einer kleinen Küstenstadt in Maine, etwa ein-hundertfünfzig Kilometer nördlich von Boston, wo sie und ihr Partner, Doug Fleming, eine seltsame und bemerkenswerte Kunstgalerie betrieben. Doug wohnte in einer Wohnung über der Galerie, während Meg in einem halb verfallenen Haus in der Nähe des Strandes lebte.
Die Galerie war auf Science-Fiction und Fantasy spezialisiert, und wenn man sich durch das Gewirr von Gemälden und Skulpturen arbeitete, dann war es, als ob man eine Wirklichkeit gewordene Traumwelt betreten hätte. Das Geschäft schlitterte meist am Rande des Bankrotts dahin, aber das schien Meg nichts auszumachen. Sie hatte den Platz im Leben gefunden, den sie gesucht hatte, und wenn sie gelegentlich mühsam die Miete zusam-menkratzen musste, war das nur eine weitere Herausforderung, die Abwechslung ins Leben brachte.
»Meg?«, sagte ich, als ich ihre Stimme hörte. »Ich bin’s, Lori. Könntest du vielleicht zwei Besucher
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