und du bist weg
missbilligend den Kopf und begab sich erneut auf Wanderschaft. Schon seit einer geschlagenen halben Stunde vegetierte er hier herum und wartete darauf, dass sein Bruder die Besprechung mit dem Kirchenvorstand seiner Gemeinde zum Ende brachte.
Endlich vernahm er aus dem Nebenraum das Rücken von Stühlen. Allmählich bewegten sich die Stimmen in die Diele. Aufatmend beendete Burgert seine Wanderung und pflanzte sich auf den schäbigen Holzstuhl, den sein Bruder für Besucher vor seinen Schreibtisch platziert hatte.
»Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat«, entschuldigte sich Heinrich Burgert, als er schließlich das Zimmer betrat. »Hättest du mich heute Morgen angerufen, hätte ich den Termin verschieben können.«
»Mach dir keine Gedanken, Heinrich.«
»Es war wirklich außerordentlich wichtig«, fuhr der Geistliche fort. »Du weißt, demnächst steht die Renovierung der Kirche an. Das Bistum übernimmt zwar gut zwei Drittel der Kosten, aber wir müssen trotzdem noch eine schöne Stange Geld aufnehmen.«
Der Mann auf dem Stuhl musterte seinen jüngeren Bruder. Obwohl es schon kurz nach neun war, steckte er immer noch in seiner Soutane. Katholischer als der Papst, hatte seine Frau Heinrich immer genannt, als sie noch lebte. Burgert musste lächeln. Die Gesichter verrieten zwar die gemeinsame Abstammung, aber ansonsten waren die Geschwister so verschieden wie nur möglich.
»Und?«, heuchelte er Interesse. »Veranstaltet ihr jetzt einen Basar?«
Der Geistliche schob seine Plauze an der Tischkante vorbei und setzte sich ächzend in seinen Sessel, der um einige Nummern bequemer war als der Stuhl vor dem Schreibtisch. »Irgendetwas in der Art wird es wohl mal werden«, nickte er. »Zuvorderst wollen wir allerdings bei einigen betuchten Mitgliedern unserer Gemeinde um Spenden bitten, natürlich von der Steuer absetzbare. Wiemelhausen ist in dieser Hinsicht ein ganz ergiebiges Pflaster.«
Der Priester zwinkerte seinem Bruder zu, fuhrwerkte an einem kleinen Schränkchen außerhalb des Sichtfeldes des anderen herum und beförderte eine Flasche Cognac und zwei ausladende, zu der Qualität des Getränkes passende Gläser hervor. Ohne auf Zustimmung zu warten, schüttete er einen guten Fingerbreit in jedes Glas.
»Wohlsein«, prostete er dem früheren Unternehmer zu und nippte genießerisch an dem abgelagerten Franzosen.
Sein Besucher schob das Glas vorerst achtlos zur Seite.
»Na, wo drückt dich denn der Schuh?«, fragte Heinrich. »Befindest du dich in Schwierigkeiten?«
»Wie man es nimmt. Du weißt doch bestimmt, dass wir die Firma an einen amerikanischen Konzern verkauft haben?«
Der Geistliche sah überrascht auf. »Die Firma? Deine Firma? Wann denn das?«
Nervös trommelte der ältere Burgert ein Solo auf der Armlehne seines Stuhls. »Vorgestern, am Sonntag.«
»Aber warum denn? Willst du dich mit dem Verkaufserlös zur Ruhe setzen?«
»Herrgott, liest du eigentlich nur dein Kirchenblättchen? Es stand doch schon oft genug in der WAZ, dass wir völlig pleite waren.«
Erschrocken hob Heinrich die Hand. »Wenn du Geld brauchst.«
»Ach was«, erregte sich der Besucher. »Dass ist eine Größenordnung, die ein wenig über deinen Verhältnissen liegt.«
»Jürgen, auch deine missliche finanzielle Situation ist noch lange kein Grund, mir gegenüber beleidigend zu werden. Ich verstehe nur nicht, wie du dich von dem Geschäft, das du vor mehr als dreißig Jahren aufgebaut hast, so einfach trennen kannst.«
»Menschenskind, du hast keine Ahnung vom wirklichen Leben. Wenn wir nicht verkauft hätten, wären wir innerhalb der nächsten vier Wochen vor dem Konkursrichter gelandet. Wir hatten gar keine Wahl.«
»Und? Was willst du dann bei mir?«, kam die Frage von der anderen Seite des Schreibtisches.
»Ich brauche deinen Rat und deine Hilfe«, seufzte Burgert theatralisch. »So wie es aussieht, bin ich bei dem Geschäft gehörig über den Tisch gezogen worden.«
Für einen Moment glomm in den Augen des Priesters so etwas wie Schadenfreude auf, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Inwiefern?«
Burgert schnappte sich jetzt doch den Cognacschwenker und gönnte sich einen kräftigen Schluck. »Mein sauberer Kompagnon und mein eigener Sohn ziehen da ein krummes Ding durch. Am Sonntagabend war ich noch einmal in der Firma, direkt nachdem ich den Kaufvertrag unterschrieben hatte. Und dabei habe ich festgestellt, dass in meinem Büro ein Mikrofon installiert ist. Nicht nur bei mir, bei den beiden
Weitere Kostenlose Bücher