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UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER

UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER

Titel: UND ES WAR SOMMER - Wiggs, S: UND ES WAR SOMMER Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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flechten können, hatte sich Rosa zu ihr ins Bett gelegt und gelesen, gelesen, gelesen. „Der Indianer im Küchenschrank“, „Futsch, mein Bruder schafft sie alle“, „Schweinchen Wilbur und seine Freunde“ und Gedichte aus „Ein Licht unterm Dach“. Und natürlich die Gutenachtgeschichten aus „Goodnight, Moon“, die Mamma ihr immer vorgelesen hatte, als Rosa noch ganz klein gewesen war.
    Sie sog den Geruch der alten Bücher regelrecht in sich auf. Dann ging sie zum Fenster mit den Spitzengardinen und sah, dass man von hier aus in den Garten und zum Teich sehen konnte. Rosa hielt den Atem an. Genau hier, an diesem Fenster, hatte der Geister-Junge gestanden und sie während des Bienenangriffs beobachtet.
    Als sie die Bücher in den Regalen näher betrachten wollte, hörte sie plötzlich ein zischendes, gurgelndes Geräusch. Sie merkte, wie sie sofort eine Gänsehaut bekam. In dieser Bibliothek spukte es.
    Sie fuhr herum – und da war er, der Geist. Er saß auf dem Sofa.
    Rosa musste sich beide Fäuste auf den Mund pressen, um nicht laut aufzuschreien, denn der Geist tat etwas ganz Schreckliches: Er hielt sich einen dünnen Plastikschlauch vor den Mund, aus dem Dampf strömte. Der Schlauch steckte in einem Gerät, aus dem das Zischen kam, das sie eben gehört hatte.
    Schließlich fand sie ihre Sprache wieder. „Was machst du da?“
    Er nahm den Schlauch von seinem Mund weg. „Es hilft mir beim Atmen“, erklärte er. „Das hier ist ein tragbares Inhalationsgerät, ein Bronchilator.“
    Vorsichtig trat sie ein wenig näher. Der Junge war sehr dünn und lag, zugedeckt mit einer Patchworkdecke, auf der viele Segelboote zu sehen waren, auf dem Sofa. Auf seiner Nase saß eine Brille mit Drahtgestell. Sein Gesicht war richtig nett, viel netter, als man es bei einem Geister-Jungen erwartet hätte. Helles blondes Haar, blaue Augen und blasse Haut.
    „Du brauchst Hilfe beim Atmen?“, fragte sie.
    „Manchmal.“ Er befestigte den Schlauch an einer Halterung des Geräts. Aus dem Mundstück zischte es noch einmal. „Ich habe Asthma.“
    „Vergeht das irgendwann?“ Rosa biss sich auf die Lippen. Sie wünschte, sie hätte ihm diese Frage nicht gestellt. Manchmal wurden Menschen krank, und es ging ihnen nie mehr wieder besser.
    „Das weiß man nicht“, sagte er. „Man kann es aber in den Griff bekommen, und vielleicht wird es besser, wenn ich größer bin und auch meine Lungen kräftiger sind. Wie heißt du?“
    „Rosina Angelica Capoletti, aber alle nennen mich Rosa. Und du?“
    „Alexander Montgomery.“
    „Nennen dich alle Alex?“
    Er lächelte. „Nein, so nennt mich niemand.“
    „Dann werde ich es tun, glaube ich.“
    Sie fanden heraus, dass sie altersmäßig nur ein Jahr auseinander, aber in der gleichen Schulstufe waren, Alex war wegen seines Asthmas ein Jahr später in den Kindergarten gekommen. Er erzählte ihr, dass er nicht gern zur Schule ging, und Rosa hatte das Gefühl, der Grund war vor allem der, dass er wahrscheinlich wegen seiner Krankheit oft gehänselt wurde. Sie erzählte ihm, dass sie selbst auch nicht gern zur Schule ging.
    „Ich weiß, ich muss hin“, jammerte sie. „Nur so kommt man weiter.“
    „Wobei kommt man weiter?“, erkundigte er sich.
    Sie lachte. „Keine Ahnung. Meine Brüder waren am College im ROTC, dem Ausbildungsprogramm für US-Streitkräfte, und sind deshalb in die U. S. Navy eingetreten.“
    „Aber zur Ausbildung geht man doch aufs College.“ Er runzelte die Stirn.
    „Wenn man der Navy beitritt, dann bezahlen die fürs College“, erklärte sie geduldig. „Ich dachte, jeder wüsste das.“ Sie deutete auf das Buch, das aufgeschlagen auf seiner Decke lag. „Was liest du denn?“
    Er nahm es und zeigte ihr den Buchrücken. „‚Bulfinchs Mythologie‘. Das ist eine Sammlung von griechischen Sagen. Diese Geschichte hier ist über Ikarus. Schau, da ist ein Bild.“
    Rosa setzte sich neben ihn auf das Sofa und beugte sich vor. Alex schob das Buch näher zu ihr. „Er fliegt“, sagte sie.
    „Ja.“
    „Aber er sieht nicht so aus, als würde es ihm besonders viel Spaß machen.“
    „Tja, er hat Schmerzen.“
    „Warum fliegt er, wenn es ihm wehtut?“
    „Weil er fliegt“, sagte Alex, als würde das alles erklären.
    Rosa streckte ihren nackten Fuß aus. Auf ihrem Knöchel und dem Schienbein waren die Bienenstiche deutlich zu erkennen. „Ich habe versucht zu fliegen, und glaub mir, es ist die Schmerzen nicht wert.“
    „Ich habe es gesehen“, sagte er.

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