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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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erhalten hatte, deren
Höhe den regelmäßig bei Flynn und Repp eingegangenen Zahlungen entsprach. Falls
Barron tatsächlich der bewusste dritte Mann gewesen war, falls auch er seinen
Anteil an der Beute aus der Verschwörung des Schweigens erhalten hatte, ließ
sich das zumindest bisher nicht beweisen.
    Diese Positiv- oder auch Negativerkenntnisse
waren keineswegs endgültig. Nur deuteten sie offenbar alle in dieselbe
Richtung.
    Oder etwa nicht?
    Zum Beispiel (sagte sich Lewis)
musste man damit rechnen, dass Barron sich der Mordwaffe entledigt und ein
neues Messer gekauft hätte, falls er das erste für die Morde benützt hatte.
    Zum Beispiel (sagte sich Lewis)
war es sehr unwahrscheinlich, dass Barron nur den einen Overall besaß. Und wenn
jemand mit einer besonders ausschweifenden Phantasie (Morse!) auf die Idee
kommen konnte, dass ein mit roter Farbe bespritzter weißer Overall eine gute
Tarnung für Blutflecken war... nun ja, dann war das zumindest nicht ganz von
der Hand zu weisen.
    Zum Beispiel (sagte sich Lewis)
musste man sich fragen, warum Barron am Tag des Mordes Geld für eine vierstündige
Parkerlaubnis in Thame ausgegeben hatte, wenn er nicht darauf aus gewesen war,
sich damit ein Alibi zu verschaffen. Handwerker hatten selten Probleme, vor den
Häusern, in denen sie arbeiteten, auch einen Parkplatz zu finden. Gewiss, das
Parken wurde allmählich selbst für die Polizei zum Albtraum, aber...
    Zum Beispiel (sagte sich Lewis)
musste man zumindest die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass Barron seine
Zahlungen — genau wie Flynn — in bar erhalten und auch in bar verwahrt hatte.
Weshalb hätte er das Geld in eine Bank oder Sparkasse einzahlen sollen? Auf dem
Dachboden, im Kleiderschrank, in einem Milchkrug im Kühlschrank war es
mindestens ebenso gut aufgehoben. Wie andere selbständige Handwerker arbeitete
Barron vielleicht ganz gern mit Gefälligkeitsquittungen, mit Zahlungen bar auf
die Hand, mit kleinen Mehrwertsteuerschummeleien — und auch deshalb hätte er
bestimmt keinen gesteigerten Wert darauf gelegt, größere Summen regelmäßig
einem Geldinstitut anzuvertrauen.
    Lewis selbst war ziemlich sicher
gewesen, dass Barron ihr Mann war, Morse hatte fest daran geglaubt. Leider war
die Beweislage bislang gegen sie. Lewis war seit jeher ein Anhänger der
Beweiskumulation, einer Stück für Stück zusammengetragenen Beweislast, die
schließlich zu einem überzeugend dokumentierten Stapel anwuchs, mit dem man zum
Staatsanwalt gehen konnte. Morse arbeitete hin und wieder ganz anders.
Allerdings waren viele der Mordfälle, die sie gemeinsam gelöst hatten, relativ
unkompliziert gewesen: nicht wirklich rätselhaft, keine Spur von wirklicher
List oder Verschlagenheit, kein raffiniert geknüpftes Netz von Täuschungen.
Meist zahme Sachen, Nachbarschaftsdelikte, bei denen der Mann überraschend von
der Arbeit kommt und seine Angetraute mit dem Briefträger im Bett erwischt, mit
dem Milchmann, dem Gasmann... dem Maurer?
    Aber wie man es auch drehte und
wendete — an konkrete Beweise gegen den Maurer war erstaunlich schwer
heranzukommen.
    Um Viertel vor neun war Lewis
müde und hungrig und sagte sich, dass er sich unabhängig von neuen
Entwicklungen — und es gab ständig neue Entwicklungen! — eine Pause verdient
hatte. Er fuhr nach Hause, nicht ohne vorher noch einmal bei Morse anzurufen.
Das Telefon läutete, aber niemand meldete sich.
     
    Eine Dreiviertelstunde später
traf Morse im Präsidium ein und rief sofort bei Lewis an. Das Telefon läutete.
Der Sergeant meldete sich.
    Ergeben ließ er Setzei und
Fritten stehen, über die er sich gerade hermachen wollte, und berichtete Morse
über die derzeitige Situation, die, wie er durchblicken ließ, einigermaßen
ambivalent und dubios war — Adjektive, die Lewis wohlgemerkt so nicht
verwendete.
    Morse äußerte gemäßigtes
Interesse, wobei er seine Beurteilung allerdings ziemlich hochtrabend
formulierte. Das Wesen alles menschlichen Seins sei in der Tat die Ambivalenz,
will sagen, die praktisch untrennbare Mixtur aus Wahrheit und Lüge. Bei ihrem
derzeitigen Fall allerdings ließen sich solche scheinbaren Widersprüche sehr
leicht erklären — nämlich genau so, wie Lewis selbst sie gerade erklärt hatte.
«Und», fuhr Morse fort, «eins — nein, zweierlei steht fest: Barron hat die
beiden umgebracht, und dann hat jemand Barron umgebracht. Wenn Sie es schaffen,
das in Ihren Kopf hineinzubekommen, sind wir ein schönes Stück weiter. Alles
klar? Wir

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