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Und plotzlich ist es Gluck

Und plotzlich ist es Gluck

Titel: Und plotzlich ist es Gluck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraghty Ciara
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im Begriff, eine Frage zu beantworten, die man mir gestellt hat.
    Ich knicke den Umschlag in der Mitte durch und stecke ihn in den Aktenvernichter.

25
    Als ich nach Hause komme, steht ein mir unbekanntes Auto in der Einfahrt. Es hat etliche Beulen und Schrammen und sieht aus, als hätte man es nicht geparkt, sondern aus großer Höhe fallen lassen. Es ist ein uralter Mini Cooper. Rostrot, wenn mich nicht alles täuscht. Allerdings mehr Rost als Rot. In der Küche erzählt Phyllis, die endlich aus Lourdes zurückgekehrt ist, allen, die es hören wollen, von dem Wunder, das sie miterlebt hat.
    »Er war blind wie ein Maulwurf, Scarlett«, sagt sie und entfernt mit dem Staubwedel eine Spinnwebe zwischen Fensterbrett und Kühlschrank. »Percy hieß er, glaube ich. Vielleicht auch James. Oder Gordon. Jedenfalls war es ein Name aus Thomas die kleine Lokomotive.« Sie hebt die Arme und Staubknäuel schweben über ihrem Kopf durch die Luft. »Wie auch immer«, fährt sie fort, »nach den üblichen Gebeten sagte er auf einmal: ›Bist du das, Mami?‹ Er war mit seiner Mutter da«, fügt sie erklärend hinzu. »›Ich muss sagen, Mami, du siehst toll aus. Die blau getönten Haare stehen dir hervorragend.‹« Phyllis betrachtet mich prüfend, um sich davon zu überzeugen, dass ich ihr die gebührende Aufmerksamkeit schenke. »Als er seine Mutter das letzte Mal gesehen hatte, schrieb man das Jahr …« Sie legt eine Kunstpause ein, der Spannung halber. Kein Wunder, dass sie eine Vorliebe für Dramatik hegt, wenn man bedenkt, wo sie lebt. »1975! Ist das zu fassen?«
    Ich darf ihr auf keinen Fall um den Hals fallen, sonst
ahnt sie gleich, dass etwas nicht stimmt. Aber ich freue mich riesig, sie wiederzusehen. Ihr vertrautes, freundliches Gesicht, ihre strahlend blauen Augen und ihren schneeweißen Dutt, so rund wie ein Plunderteilchen.
    Also lausche ich einfach ihrem Bericht, doch mit der Zeit drängen sich die Ereignisse des Tages in mein Bewusstsein. Ich versuche, nicht daran zu denken, aber sie sind wie streunende Katzen: Sie kehren immer wieder zurück.
    »Hörst du mir überhaupt noch zu, Scarlett?«
    »Aber natürlich«, sage ich. »Gerade hast du von dem Jungen erzählt, der versucht hat, für fünf Euro eine irische Mineralwasserflasche voller ›Weihwasser‹ zu verkaufen, das bloß Leitungswasser war.«
    »Stimmt. So, und jetzt mache ich dir zur Feier des Tages dein Lieblingsgericht.« Sie wartet ab, bis ich es sage.
    »Welsh Rarebit?«, frage ich und setze ein Lächeln auf. Es handelt sich dabei um einen simplen Käsetoast und der gehörte tatsächlich zu meinen Leibspeisen, als ich fünf Jahre alt war, aber Phyllis besteht auf dem exotischen Namen. Welsh Rarebit ist das einzige vegetarische Essen, das sie gern zubereitet. Mit Tofu oder Linsen weiß sie nicht viel anzufangen.
    »Lass nur, ich mache das schon«, sage ich und stemme mich mit beiden Armen von meinem Stuhl hoch. Die Anstrengungen des Tages machen sich vor allem in meinen Beinen bemerkbar, die sich so schwer wie zwei Baumstämme anfühlen.
    Phyllis gebietet mir mit einem ihrer Blicke Einhalt. »Noch bin ich nicht tot, Scarlett«, erinnert sie mich, obwohl es keinerlei Anlass dafür gibt.
    »Ich weiß. Ich wollte bloß …«
    »Lass dir eines gesagt sein, Mädel: Es steckt noch jede Menge Energie in diesem meinem alten Körper.«

    »Weiß ich doch. Ich wollte doch bloß …«
    »Ich befinde mich erst im Spätsommer meines Lebens«, fährt sie fort. »Allerhöchstens Mitte August. Also, los, raus mit dir, Mädel.« Sie schwenkt zum Abschied ihren Staubwedel. »Dein Vater sitzt mit irgendeinem Schreiberling im Wohnzimmer. Geh und unterhalte dich ein bisschen mit ihm.«
    Ich lächle sie an und tue, wie mir geheißen. Was bleibt mir auch anderes übrig?
    Im Wohnzimmer herrscht Schweigen, als ich eintrete. Es wird emsig gearbeitet. Der Tisch, zu seiner vollen Größe ausgezogen, ist mit einem Meer von Zetteln und Unterlagen übersät. Zwei Köpfe beugen sich darüber. Der eine gehört Declan. Seine verkohlten Stirnfransen sind etwas nachgewachsen, aber die Spuren seines kleinen Unfalls mit dem Gasherd sind noch sichtbar. Der andere Kopf ist von einem feuerroten Haarschopf gekrönt. Das heißt, eigentlich ist es eher ein leuchtendes Orangerot. Es erinnert an eine Tüte Karotten. Könnte aber auch eine knallbunte Tischlampe sein. Der Groschen segelt wirbelnd durch die Luft, fällt aber erst, als der Besitzer des Haarschopfs etwas sagt. Diese vertraute Stimme.

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