Und taeglich grueßt die Evolution
Bonobos. Die weiblichen Tiere beider Arten sind als fürsorgliche Mütter bekannt. Während die Schimpansengesellschaften aber eine klare Rangordnung zeigen, die von einem Alphamännchen angeführt wird, bestechen die Bonobos durch ein friedfertiges und gleichberechtigtes Zusammenleben. Die geringe Aggressionsneigung der Tiere wird auf ihr reges Sexualleben zurückgeführt. Während die sexuellen Tabus nach Ansicht Sigmund Freuds beim Menschen eine kulturfördernde Rolle spielen, pflegen die Bonobos ausgiebig gegengeschlechtliche wie homosexuelle Kontakte, um Zuneigung zu zeigen und soziale Spannungen abzubauen.
Der Mensch erfindet die romantische Liebe
Einen entscheidenden Einfluss auf das abendländische Familienmodell hatte das Christentum. Die christliche Lehre belegte einerseits die sinnliche und begehrliche Seite der Sexualität mit einem Tabu, andererseits stärkte sie die Familie, insbesondere das für unauflösbar erklärte Band zwischen Mann und Frau. Während die Zuneigung der Eheleute zum Abbild der reinen himmlischen Liebe erklärt wurde, geriet das Verhältnis der Geschlechter zueinander durch die Lehre von der Erbsünde zugleich in einen Schuldzusammenhang. Diese sexualfeindliche Tendenz der Kirche zeigt sich auch heute noch, etwa wenn Papst Benedikt XVI. in der Tradition seiner Vorgänger im Namen des Glaubens den Gebrauch von empfängnis- und krankheitsverhütenden Mitteln gegen ungewollte Schwangerschaften und AIDS untersagt.
Mit der Absage des Bürgertums an die ständische Ordnung im 18. Jahrhundert erwachte die Idee der Liebesheirat. Nicht mehr das Erbe, dynastische Verbindungen und wirtschaftliches Kalkül sollten der Grund einer ehelichen Verbindung sein, sondern die Liebe. Das Liebesglück als Bindemittel minderte die Bedeutung der männlichen Abstammungslinie. War die Familiengemeinschaft der vorindustriellen Welt zugleich Wirtschafts- und Arbeitseinheit, wurde sie durch die Industrialisierung neu organisiert. Die großen Familienverbände, die häufig drei Generationen umfassten, lösten sich durch die Trennung von Hausgemeinschaft und Arbeitsstelle auf. Der Ehemann und Vater büßte durch seine Erwerbstätigkeit die Rolle des Erziehers weitgehend ein. Der Alltag der bürgerlichen Frau und Mutter beschränkte sich hingegen auf den Privatbereich und die Kindererziehung. Die romantische Überhöhung der Ehe hatte auch die Funktion, die soziale Entmachtung der Frau zu verschleiern. Zwar wurde sie durch den Code Napoléon von 1804 dem Mann rechtlich gleichgestellt, doch in Wirklichkeit blieb sie in vielerlei Beziehung vom Mann – dem Vertreter des Realitätsprinzips – abhängig.
Neuzeitliche Familienmodelle zwischen Patchwork-Ehen und Leihmüttern
Die neuen Informationstechnologien erhöhen die soziale Mobilität und beschleunigen damit einen gesellschaftlichen Umwandlungsprozess, der in den 1970er Jahren mit der sexuellen Revolution und der Emanzipation der Frau begann. Die modernen Frauen von heute sind berufstätig, der Mann in der Rolle des Familienernährers ist ein Auslaufmodell. Die sogenannten neuen Väter beteiligen sich aktiv an der Kinderpflege, auch die Ehe gilt nicht mehr als unauflösbar. In Großstädten sind »Einelternfamilien« aus zumeist einer alleinerziehenden Mutter mit Kindern nebst homosexuellen Elternpaaren und Patchworkfamilien längst eine feste Größe. Unter dem Einfluss der Reproduktionsmedizin scheint sich ein neues Familienmodell anzubahnen, das die biologische Basis der Familie als blutsverwandte Abstammungseinheit von einem männlichen Erzeuger hinter sich lässt. Durch die Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Fortpflanzung kann ein Kind unter Umständen fünf Elternteile haben: einen Samenspender als genetischen Vater, eine Eizellenspenderin als genetische Mutter, eine Leihmutter als biologische Mutter und die sozialen Eltern. Über mögliche seelische Folgen dieser sozialen Neuerungen wird uns allerdings erst die Zukunft belehren.
Aus Spiel wird Ernst: Erziehung und Initiationsriten
Der Mensch unterscheidet sich von anderen Lebewesen durch sein ausgeprägtes Lernvermögen und durch eine komplexe, aber auch anpassungsfähige Gesellschaftsstruktur. Seine Sprache und die Fähigkeit, Symbole zu verwenden und seinem Handeln Sinn und Bedeutung zu verleihen, bilden die Grundlagen seiner Kultur. Diese Kultur wird an die nachfolgenden Generationen vor allem durch Erziehung weitergegeben, die sich seit dem bürgerlichen Zeitalter als unabgeschlossener
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