Und wieder Carmel
begleitete
Glen mich zum Haus. Victoria öffnete die Tür und bat uns hinein. „Alex ist
oben, Anna. Glen, willst du einen Kaffee?“
Ich stieg die Stufen zum Obergeschoss hinauf. Beim Klingeln an der Tür hatte
mir schon das Herz bis zum Hals geschlagen, nun hämmerte es und fühlte sich an,
als schlage es außerhalb meines Körpers. Mein Mund war trocken, die Hände ganz
feucht. Die Tür zu Alex‘ Zimmer stand offen und ich erblickte ihn an seinem
Schreibtisch. Offensichtlich hatte er mich kommen hören und sich auf seinem
Stuhl in Richtung Tür gedreht.
„Hi“, begann er und stand auf.
„Hi“, antwortete ich knapp.
„Komm doch rein“, bot er an.
„Nein, ich werde gleich wieder gehen.“
„Ok.“
„Du sagtest, du würdest mit den Besuchen aufhören, wenn du mit mir geredet
hast.“
„Ja, so was in der Art.“
„Dann rede, damit es ein Ende hat.“
Alex sah mich prüfend an und überlegte. Es war mucksmäuschenstill im Haus, nur
das gleichmäßige Ticken des Weckers auf seinem Nachttisch war zu hören. Jedes
einzelne Ticken stellte meine Geduld auf die Probe und während ich auf eine
Reaktion von Alex wartete, dachte ich, ich umarme ihn gleich … nein, ich
gehe wieder. Aber nicht ohne ihn umarmt zu haben …
„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte Alex plötzlich mit ruhiger Stimme.
„Für was?“
„Für mein unvernünftiges Handeln.“
„Ich will wissen, warum, Alex“, ich wurde lauter. „Warum tust du mir das an?
Die Bemerkungen, die Ignoranz und dann das Mädchen in der Besenkammer?“
„Ich neige nicht zu Kurzschlussreaktionen ...“, ich unterbrach ihn durch
ein abfälliges Stöhnen. Alex sah mich daraufhin eindringlich an und sprach
unbeirrt weiter: „ ... doch der Gedanke, dass du mich in ein paar Monaten verlässt,
stellt mich vor ein schier unlösbares Problem.“ Alex schluckte und ich starrte
ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„... und es macht mich …“, er rang nach Worten.
„Hilflos?“, vervollständigte ich fast flüsternd.
„Ja, hilflos.“
„Damit stehst du aber nicht allein. Ich mache mir auch Gedanken, wie es weiter
geht. Aber, wenn du dich zurückziehst oder mich mit einer anderen betrügst,
wird es nicht besser, Alex.“
„Ich betrüge dich nicht, das könnte ich gar nicht, auch nicht betrunken.“
„Dann hör auf mit diesen Spielchen. Rede mit mir, sag mir, wenn dich etwas
bedrückt, aber tu mir nicht absichtlich weh, auch nicht mit Worten.“
Alex senkte vor Scham den Kopf. „Es tut mir leid.“
Ich konnte nichts erwidern. Ich konnte ihm nicht verzeihen, ich wollte nicht.
Langsam kam er einen Schritt
auf mich zu. „Bleib ja da stehen“, rief ich.
„Anna“, bat er.
„Nein, so einfach geht das nicht. Ich werde jetzt gehen, dein Auto steht vor
der Tür und hier sind die Schlüssel.“ Ich legte sie neben mir ins Regal.
„Was soll ich deiner Meinung nach tun?“, fragte er.
„Darüber nachdenken, was du willst und wenn du es weißt, überlege, ob du bereit
bist, darüber zu reden.“
„Ok“, antwortete er leise und ließ mich ohne ein weiteres Wort gehen.
Im Auto neben Glen konnte ich meine Tränen kaum
zurückhalten.
„Was hat er gesagt“, fragte Glen ein wenig hilflos.
„Er hat sich entschuldigt.“
„Das ist doch gut, oder?“
„Ja“, schluchzte ich.
Die folgenden Tage vermied es Alex, mir
über den Weg zu laufen. Das Einzige, was ich von ihm sah, war sein Wagen auf
dem Parkplatz. Mit jeder Minute, die verging, bereute ich meine letzten Worte,
die ich zu ihm gesagt hatte. Es war des Öfteren schwierig für mich gewesen,
nachzuvollziehen, wie Alex dachte und nun hatte ich ihm ein Ultimatum gestellt
und konnte nicht im Geringsten erahnen, was er als Nächstes tun würde.
Ein paar Tage nach unserem Gespräch fand ich in meinem Zimmer auf meinem Bett
ein kleines Kästchen, auf dem mein Name stand. Ich erkannte die Handschrift und
mit zittrigen Fingern und klopfendem Herzen öffnete ich es. Darin lag ein
Metallgebilde. Ich nahm es heraus und hielt es hoch. Es war mein Gesicht,
gebaut aus Drähten, Muttern, Schrauben und kleinen Metallteilen. Dabei lag eine
Karte auf der stand: Das Einzige was ich will, bist DU!
Ich lächelte und nach endlosen Tagen der Quälerei, begannen in meinem Bauch
wieder die Schmetterlinge zu tanzen.
Am nächsten Tag, als ich zum Frühstück nach unten kam, stand dort ein weiteres
Päckchen für mich. Ich öffnete es und fand eine weitere Skulptur. Diesmal waren
es zwei Figuren, die Hand in Hand zusammenstanden und
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