Undank Ist Der Väter Lohn.
Julian unentbehrlich zu machen, hatten bei ihm irgendwelche Gefühle wecken können, die über das freundliche Interesse, das man vielleicht dem Hund der Familie entgegenbringt, hinausgingen.
Bei dem Gedanken an Hunde überlief Samantha ein Schauder. In diese Richtung werde ich ganz bestimmt nicht gehen, dachte sie entschieden. Dieser Weg würde unweigerlich zu Gegrübel über Nicola Maidens Tod führen. Und das war ebenso unerträglich, wie über ihr Leben nachzudenken.
Aber gerade das krampfhafte Bemühen, nicht an Nicola zu denken, beschwor Erinnerungen herauf. In Gedanken sah Samantha sie vor sich, wie sie sie das letzte Mal gesehen hatte, und sie versuchte, das Bild aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen.
»Du magst mich nicht besonders, stimmt’s, Sam?« hatte Nicola gefragt und sie dabei forschend angesehen. »Ja. Ich seh’s dir an. Es ist wegen Julie. Aber ich will ihn gar nicht haben. Jedenfalls nicht auf die Art, wie Frauen im allgemeinen Männer haben wollen. Er gehört dir. Das heißt, wenn du es schaffst, ihn für dich zu gewinnen.«
So freimütig. So absolut offen und gerade heraus mit jedem Wort, das sie sprach. Hatte sie sich nie Gedanken darüber gemacht, wie sie auf andere wirkte? Hatte sie sich nie gefragt, ob diese schonungslose Ehrlichkeit sie eines Tages nicht mehr kosten würde, als sie zu zahlen bereit war?
»Ich könnte ein gutes Wort für dich einlegen, wenn du willst.
Ich tu’s gern. Ich finde, ihr beide paßt gut zusammen. Eine standesgemäße Partie, wie man früher zu sagen pflegte.« Und sie hatte gelacht, aber nicht boshaft. Dabei wäre es viel einfacher gewesen, sie nicht zu mögen, wenn sie sich zu Spott herabgelassen hätte.
Aber das hatte sie nicht getan. Es war auch gar nicht nötig gewesen, denn Samantha wußte ja schon sehr gut, wie absurd ihr Verlangen nach Julian war.
»Ich wollte, ich könnte ihn dazu bringen, daß er aufhört, dich zu lieben«, hatte sie gesagt.
»Wenn du ein Mittel findest, dann tu’s«, hatte Nicola geantwortet. »Ich würd’s dir bestimmt nicht übelnehmen. Du kannst ihn haben. Meinen Segen hast du. Es wäre wirklich das beste.«
Und sie hatte gelächelt, wie sie stets lächelte, so offen und gewinnend und freundlich, so gänzlich frei von den Hemmungen einer Frau, die sich ihres nichtssagenden Äußeren und ihrer kümmerlichen Talente bewußt war, daß Samantha am liebsten zugeschlagen hätte. Zugeschlagen und geschrieen hätte: »Glaubst du denn, es ist leicht, ich zu sein, Nicola? Glaubst du denn, es gefällt mir, so zu sein, wie ich bin?«
Das hatte Samantha sich gewünscht, dieses harte Aufeinanderprallen von Fleisch auf Fleisch, von Fleisch auf Knochen. Alles hätte sie getan, um aus Nicolas klaren blauen Augen die Gewißheit zu löschen, daß Samantha McCallin selbst einen Kampf, an dem Nicola sich noch nicht einmal beteiligte, nicht gewinnen konnte.
»Sam! Hier bist du also.«
Samantha fuhr erschrocken herum und sah Julian im Licht der Nachmittagssonne durch die Galerie kommen. Bei ihrer hastigen Bewegung fielen ihr mehrere Brocken versteinerter Asche von der Schaufel. Feine Wölkchen bläulichgrauen Staubs stiegen von ihnen auf.
»Du hast mich erschreckt«, sagte sie. »Wie kannst du auf diesem knarrenden Holzboden so schleichen?«
Er blickte wie zur Erklärung auf seine Schuhe hinab. »Tut mir leid.« Er schwenkte leicht das Tablett mit Tassen und Tellern, das er in den Händen trug. »Ich hab mir gedacht, du könntest mal eine Pause gebrauchen. Ich habe uns Tee gemacht.«
Er hatte außerdem jedem ein Stück von dem Schokoladenkuchen abgeschnitten, den sie als Nachtisch zum Abendessen gebacken hatte. Beim Anblick der Kuchenstücke wallte Ärger in ihr auf. Er hatte doch bestimmt gesehen, daß der Kuchen noch nicht angeschnitten war. Er hätte sich doch denken können, daß er für eine besondere Gelegenheit bestimmt war. Hätte er nicht dieses eine Mal wenigstens ein bißchen überlegen können? Aber sie sagte nur: »Danke, Julie. Ich kann jetzt wirklich was gebrauchen«, und kippte die Schaufel mit dem Schutt in den Schubkarren.
Beim Mittagessen hatte sie kaum einen Bissen hinuntergebracht. Und er auch nicht, wie sie bemerkt hatte. Natürlich war sie hungrig. Sie wußte nur nicht, ob sie in seinem Beisein würde essen können.
Sie ging zum Fenster, wo Julian das Tablett auf ein altes Vertiko stellte. Ans Fensterbrett gelehnt standen sie da, jeder mit einer Tasse Darjeeling in der Hand, jeder darauf wartend, daß der andere
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