Undank Ist Der Väter Lohn.
das Rumpeln eines näher kommenden Lastwagens hörte.
Er schaffte es gerade noch, den überfüllten Container eine Sekunde vor den Männern der Müllabfuhr zu erreichen, die gekommen waren, um die Abfälle abzuholen, die sich im Lauf einer Woche im Black-Angel-Hotel angesammelt hatten.
Samantha hörte den Lärm, noch bevor sie ihren Onkel sah. Das Geräusch aneinanderschlagender Flaschen hallte laut durch den alten steinernen Treppenschacht, als Jeremy Britton zur Küche hinunterging, wo Samantha das Frühstücksgeschirr spülte. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr, die sie auf ein Bord in der Nähe des Spülbeckens gelegt hatte. Selbst für Onkel Jeremys Verhältnisse war es für Alkohol noch reichlich früh am Tag.
Sie scheuerte die Pfanne, in der sie am Morgen den Schinkenspeck gebraten hatte, und versuchte, die Anwesenheit ihres Onkels zu ignorieren. Hinter sich hörte sie seine schlurfenden Schritte. Die Flaschen klirrten. Als es sich nicht länger vermeiden ließ, blickte Samantha sich schließlich doch nach ihrem Onkel um.
Jeremy trug einen großen Korb am Arm, der mit etwa einem Dutzend Schnapsflaschen gefüllt war. Größtenteils handelte es sich um Gin. Er begann die Vorratsschränke in der Küche durchzusehen, kramte raschelnd die gelagerten Lebensmittel durch und zog immer neue Flaschen heraus. Es waren lauter Minifläschchen. Er holte sie aus dem Mehlkasten, aus den Behältern mit Reis, Zucker und Bohnen, angelte sie hinter gestapelten Konservendosen hervor und aus den Tiefen der Schränke, in denen Töpfe und Pfannen standen. Klirrend und scheppernd wie ein Poltergeist hantierte er in der Küche herum, und die Sammlung in dem Korb an seinem Arm wuchs beständig.
»Diesmal schaff ich’s«, murmelte er. »Ganz bestimmt.«
Samantha stellte den letzten Topf auf die Trockenablage und zog den Stöpsel im Spülbecken heraus, um das Wasser ablaufen zu lassen. Sie trocknete sich die Hände an ihrer Schürze und beobachtete ihren Onkel. Er sah alt und verfallen aus, beinahe als wäre er ernstlich krank, und das krampfartige Zittern, das seinen Körper schüttelte, verstärkte diesen Eindruck noch.
»Onkel Jeremy?« sagte sie. »Geht es dir nicht gut? Was ist denn los?«
»Der Entzug«, antwortete er. »Es ist dieses gottverdammte Teufelszeug. Erst lockt es dich mit süßester Verheißung, dann stürzt es dich in die Hölle.«
Er hatte angefangen zu schwitzen, und im trüben Licht der Küche schimmerte sein Gesicht gelblich wie eine eingeölte Zitrone. Mit zitternden Händen, die ihm nicht gehorchen wollten, hievte er den vollen Korb auf die Geschirrablage und packte die erste Flasche. Bombay Sapphire, seine ganze Liebe. Er schraubte den Deckel ab und leerte den Inhalt der Flasche ins Spülbecken. Gingeruch stieg auf wie ausströmendes Gas.
Als die Flasche leer war, zerschlug er sie am Rand des Spülbeckens. »Schluß damit«, sagte er. »Ich bin fertig mit diesem Zeug. Ich schwör’s. Jetzt ist Schluß.«
Dann begann er zu weinen. Er weinte mit einem trockenen, stoßartigen Schluchzen, das seinen ganzen Körper erschütterte. Er sagte: »Aber allein schaff ich’s nicht.«
Tiefes Mitleid erfaßte Samantha. »Ach, Onkel Jeremy. Warte. Ich helfe dir. Ich halte den Korb, ja? Oder soll ich lieber die Flaschen aufmachen?« Sie nahm eine heraus – Beefeater diesmal – und hielt sie ihrem Onkel hin.
»Das wird mich noch umbringen«, rief er schluchzend. »Es bringt mich ja jetzt schon um. Sieh mich doch an. Sieh mich doch bloß an!« Er hielt seine Hände hoch, um ihr zu zeigen, was sie bereits gesehen hatte: das heftige Zittern. Er packte die Flasche Beefeater und schlug sie gegen die Kante des Spülbeckens, ohne sie vorher zu leeren. Gin ergoß sich über sie beide. Er griff schon nach der nächsten Flasche. »Nichts als ein runtergekommener, elender Säufer«, stammelte er weinend. »Drei hast du schon rausgescheucht, aber das hat dir ja nicht gereicht. Nein. Nein. Du gibst erst Ruhe, wenn auch der letzte weg ist.«
Samantha versuchte, sich darauf einen Reim zu machen. Er sprach von seiner Frau und seinen Kindern, erkannte sie. Julians Geschwister und seine Mutter waren schon vor Jahren geflohen, aber sie konnte nicht glauben, daß Julian seinen Vater je verlassen würde.
»Julian liebt dich doch, Onkel Jeremy«, sagte sie. »Er verläßt dich ganz sicher nicht. Er will nur das Beste für dich. Du mußt doch wissen, daß er nur deshalb so hart arbeitet, um das Gut wieder instand zu setzen.«
Jeremy
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