Underground
so viele Probleme bereitet habe. Drei Jahre lang hatte ich überhaupt keinen Namen. Einige Indianer warten damit, bis ihre Kinder etwas Ehrenvolles getan haben oder selbst einen Namen für sich aussuchen. Das ist zwar nicht mehr weit verbreitet, passiert aber immer wieder. Meine Mutter hat mich lange Zeit nur Schmutzfink genannt, weil ich ein echtes Talent dafür hatte, ständig schmutzig zu werden und den Dreck dann überall zu verteilen. Auf meiner Geburtsurkunde steht als Name nur ›Junge, Williams‹.«
»Sie hätten Ihren Namen doch ändern können«, gab ich zu bedenken.
»Vielleicht. Aber ich wollte nicht. Als Kind war es
manchmal etwas schwierig, aber jetzt gefällt mir Reuben Fishkiller eigentlich ganz gut. ›Reuben Williams‹ wäre langweilig gewesen.«
Ich warf ihm einen verwirrten Blick zu. »Und wieso nennen Sie sich dann Fish und nicht Fishkiller?«
»Ich nenne mich nicht immer Fish«, erwiderte er. »Die meisten Kinder, mit denen ich aufgewachsen bin, führen einen Totemnamen – also einen indianischen Namen, den wir uns verdient haben. Aber den benutzen wir normalerweise nicht außerhalb unserer Welt. Dafür müssten wir immer zu viel erklären, und für manche Außenstehenden klingen diesen Namen auch ziemlich eingebildet. Sie würden vermutlich auch überrascht sein, wenn Ihnen plötzlich ein Typ entgegenkommt, auf dessen Namensschild ›Schwimmender Bär‹ steht.«
Ich lachte. »Es würde auch ziemlich lustig aussehen, wenn auf einem solchen Namensschild ›Nacktschwimmer‹ zu lesen wäre.«
Fish lachte, und auch Quinton wirkte für einen Moment amüsiert, ehe er wieder in Gedanken versank. Fish und ich plauderten weiter, während Quinton zumindest nicht mehr so bedrückt wirkte wie zuvor.
Als wir schließlich nach Marysville kamen, entdeckte ich als Erstes das Kasino. Das Tulalip-Reservat beginnt westlich des Interstate-Highway Nummer fünf und führt bis zum Puget Sound um Tulalip Bay herum. Sobald man den Highway verließ, bot sich einem eine wunderschöne Landschaft. Als ich zuerst nach Washington State gezogen war, hatte es nur ein paar vereinzelte Plakate gegeben, die darauf hinwiesen, dass sich zwischen den bewaldeten Hügeln des Reservats ein Kasino mit Bingohalle befand.
Die Stämme des Tulalip-Reservats hatten inzwischen das
kitschige alte Kasino und den so genannten Handelsposten durch einen großen Kasinokomplex und zwei gewaltige Einkaufszentren ersetzt, in denen man einen WalMart und Designer-Outlets fand. Die Gebäude befanden sich direkt neben dem Freeway, wo früher nichts außer Feldern und Grasland gewesen war. Jetzt konnte man kaum mehr ein Grasbüschel hinter den neuen Gebäuden und dem gewaltigen Parkplatz erkennen, auf dem jedes Jahr von Mitte Juni bis zum Unabhängigkeitstag der so genannte Boom-City-Feuerwerksmarkt stattfand.
Fish führte mich zum Hauptkasino, vor dem ein Wasserbecken mit einem Schwertwal in Lebensgröße stand – das Symbol des Reservats. Daneben war die imposante Bronzestatue eines indianischen Fischers zu sehen, der gerade dabei war, mit seinem Speer eine Beute zu erlegen. Ich parkte neben dem gewaltigen Eingangsportal, über dem eine knallbunte Pyramidenkuppel thronte. Neben dem Kasino wurde gerade ein Hotelkomplex errichtet.
»Es ist eigentlich schade, dass man dieses Hotel hier hochzieht«, meinte Fish. »Bis vor kurzem konnte man nämlich die Lichter des Kasinos noch Kilometer weit von hier entfernt sehen. Das hat die Bewohner von Marysville wahnsinnig gemacht.« Er lachte und stieg vorsichtig aus dem Wagen, um auf dem eisverkrusteten Asphalt nicht auszurutschen. Quinton und ich folgten ihm.
Trotz der Baumaßnahmen waren auf dem Parkplatz erstaunlich viele Geister zu sehen, die wie Filmbilder im Rauch flackerten. Mehrere Gespenster – sowohl menschliche als auch tierische und ein paar gemischte Wesen – richteten ihre nachtschwarzen Augen auf uns und beobachteten neugierig, wie wir vorübergingen.
Quinton und ich betraten hinter Fish das Kasino. Dort
begrüßte uns als Erstes eine grelle Lobby aus Stein, Wandmalereien und bunten Lichtern. Wir gingen einen breiten Korridor entlang zu den Kasinoräumen. Die Decke war mit blitzenden Sternen und immer wieder plötzlich aufziehenden künstlichen Sturmwolken verziert. An den Wänden standen Spielautomaten, überdacht von Baldachinen im Art-déco-Stil. Auf den Wänden tummelten sich gemalte Lachse, Wale, Otter und Forellen, während der Teppichboden das Muster eines Baches mit Steinen
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