Ungezaehmte Leidenschaft
ich.« Er überblickte die geschäftige Straße. »Wo ist Nick?«
»Hier«, rief Nick aus der Menge. »Endlich habe ich einen Wagen. Der Kutscher wartet in der Nebenstraße, Miss Tate.«
»Unser Wagen steht auf der anderen Straßenseite«, sagte Owen zu Virginia. »Wollen Sie schon gehen?«
»Ich denke ja, da der Abend, was die Ermittlungen betrifft, offenbar reine Zeitverschwendung war«, antwortete Virginia. »Obwohl er allerdings seine Momente hatte.«
Es folgte eine kurze Runde freundlicher Verabschiedungen, dann schob Owen Virginia durch die Menge. Seine Hand umklammerte ihren Oberarm. Er tat ihr nicht weh, doch verriet der Griff seine Entschlossenheit, sie aus dem Institut zu schaffen.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte sie.
»Nein, wenn man von der Tatsache absieht, dass Gilmore Leybrook dich zur Geliebten möchte, wie ich heute Abend entdecken musste.«
Sie errötete. »Vergeude nicht deine Zeit, indem du dir den Kopf über Leybrook zerbrichst. Mit ihm werde ich leicht fertig.«
»Er ist entschlossen, dich zu besitzen, Virginia.«
»Pamela Egan ließ durchblicken, dass er sich nach einer neuen Assistentin umsieht. Aber ich kann dir versichern, dass ich an dieser Position nicht interessiert bin. Ich ziehe es vor, selbstständig zu arbeiten und nicht als Assistentin eines Praktikers.«
»Ich meine nicht die Stelle als Assistentin. Leybrook möchte dich in einer viel intimeren Position.«
»Unsinn. Du misst der Sache zu viel Bedeutung zu.«
»Ich sah es in seinen Augen.«
»Tatsächlich ist er für seine Affären mit seinen Assistentinnen berüchtigt«, musste sie zugeben. »Er soll die Auswahl nach ganz speziellen körperlichen Attributen treffen. Ich bin ganz sicher, dass ich seinen Anforderungen nicht entspreche.«
»Ich glaube, dass er einige dieser Anforderungen auf seiner Liste geändert hat.«
Erschrocken sah sie ihn an. »Wie seltsam. Pamela Egan sagte in etwa dasselbe. Aber was ist dieses neue Attribut, das mich an die Spitze von Leybrooks Liste befördert?«
»Dein Talent«, sagte Owen. »Er spürt, dass es echt ist.«
»Aber warum? Er besitzt ja selbst Talent. Dessen bin ich sicher.«
»Genau. Ich glaube, er kam zu dem Schluss, dass er mit dir an seiner Seite sein Finanzimperium zu neuen Höhen führen kann. Ein logischer Schachzug, wenn man es genauer überlegt. Das Institut ist zwar bereits ein profitables Unternehmen, aber bedenke doch, was zwei Menschen mit starkem Talent daraus machen könnten.«
»Sollte Leybrook mir Adrianas Position anbieten, werde ich ablehnen. Ich bin an einer Partnerschaft nicht interessiert.«
»Auch wenn es viel mehr Geld einbringen würde, als du jetzt verdienst?«
»Missversteh mich nicht. Ich bin so ehrgeizig wie alle in meinem Beruf. Aber ich verfolge meine eigenen langfristigen Ziele. Und die schließen Leybrook nicht ein.«
»Das sagst du, obwohl du mit dem Institut verbunden bist«, wandte Owen ein.
»Vorübergehend. Ich habe auch ohne Leybrook zu tun. Auf jeden Fall würde ich niemals eine engere Partnerschaft mit ihm eingehen.«
»Du machst so feine Unterschiede?« Owen klang neugierig, nicht abwertend oder kritisch.
»Eine enge Partnerschaft ist wie eine Ehe, Sir«, sagte sie. »Um erfolgreich zu sein, bedarf es großen Vertrauens auf beiden Seiten.«
»Und du traust Leybrook nicht?«
»O doch, ich traue ihm«, sagte Virginia. »Ich vertraue darauf, dass er immer tun wird, was er als sein Interesse ansieht. Solange ich mir dies vor Augen halte, können er und ich im Institut gut auskommen. Im Moment liegen unsere finanziellen Interessen auf einer Ebene, wie Mrs. Crofton sagen würde. Das wird aber nicht immer der Fall sein.«
Am Fuß der Treppe sträubten sich plötzlich ihre Nackenhaare. Ihre Intuition versetzte ihre Sinne in Aufruhr.
»Owen?«, setzte sie an.
Er zog sie so rasch zur Seite, dass sie stolperte und gestürzt wäre, hätte er sie nicht festgehalten. Eine Gestalt, die in einen Kapuzenumhang gehüllt war, fegte so dicht an ihr vorüber, dass der Mantelsaum Virginia streifte. Eine behandschuhte Hand schnellte vor und verfehlte Virginias Schulter nur knapp. Hätte Owen sie nicht weggerissen, wäre sie die Treppenflucht hinuntergestoßen worden.
Im nächsten Moment war alles vorbei. Die verhüllte Gestalt verschwand im Gedränge. Niemand in der Menge ahnte, was sich zugetragen hatte.
»Warte hier«, befahl Owen. »Rühr dich nicht von der Stelle.«
Als er an ihr vorüber wollte, hielt sie ihn fest.
»Owen,
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