Ungezaehmte Leidenschaft
Organisation, die meine psychische Natur akzeptieren und verstehen müsste, unehrenhaft findet.« Sie hakte das letzte Häkchen ihres Kleides zu und ließ die Hände sinken. »Ja, Owen, Wohlanständigkeit ist mir sehr wichtig.«
Er fasste unter ihr Kinn. »Ich wurde in einer Familie groß, die sich mit äußeren Anzeichen von Ehrbarkeit nicht viel aufhält. Die Sweetwaters halten mehr von Ehre, Mut und Willensstärke. So haben wir überlebt. Diese Eigenschaften sind es, die uns als Familie zusammenhalten.«
Sie lächelte. »Das bezweifle ich nicht.«
»Du besitzt alle Eigenschaften, die den Sweetwaters etwas bedeuten. Ich würde dir mein Leben und meine Geheimnisse anvertrauen.«
Sie regte sich einen Moment nicht. »Wirklich?«, fragte sie dann.
»Wirklich.« Sein Mund streifte ihre geöffneten Lippen, dann richtete er sich wieder auf. »Apropos Familiengeheimnisse, ich habe dir etliche enthüllt. Das bedeutet, dass mir nur eine sichere Alternative bleibt.«
»Und die wäre?«
»Du musst mich natürlich heiraten.«
Ihr blieb der Mund offen stehen. »Wie bitte?«
»Andernfalls ich den Rest meines Lebens befürchten müsste, du könntest alle dunklen Geheimnisse der Sweetwaters einem anderen Mann verraten.«
»Was?«
»Natürlich ist das nur scherzhaft gemeint. Es ist nicht der Zeitpunkt, unsere Heiratspläne zu diskutieren. Es ist spät, du musst ins Bett.«
Er ließ sie los, griff nach seinem schwarzen Abendmantel und ging zur Tür.
»Warte, Owen.«
»Wir führen dieses Gespräch ein anderes Mal zu Ende«, versprach er. Damit schloss er die Tür auf und trat hinaus auf den dunklen Gang. Das eilige Tappen ihrer nackten Füße hinter ihm entlockte ihm ein Lächeln.
»Du kannst doch nicht einfach so davonlaufen«, zischte sie eindringlich. »Erklären Sie sich, Sir.«
Er öffnete die Haustür und blieb nur so lange stehen, dass es für einen letzten Kuss reichte.
»Es gibt eigentlich nichts zu erklären«, sagte er. »Ich bitte dich nicht, mich zu heiraten. Ich kann nur hoffen, dass du einwilligst.«
»Verdammt, Owen …«
Er trat hinaus in die Nacht. Sie wollte ihm folgen, besann sich aber eines Besseren, als ihre bloßen Füße den kalten Stein der Stufen berührten. Rasch zog sie sich ins Haus zurück.
»Ich gehe jetzt, Matt, Tony«, sagte Owen. »Ich erwarte, dass ihr Miss Dean aufmerksam bewacht.«
»Ja, Sir«, sagte Matt aufgeräumt.
»Mr. Sweetwater«, rief Virginia ihm betont förmlich nach. »So können Sie nicht gehen. Ich habe noch Fragen.«
»Ein anderes Mal, Miss Dean«, sagte er. »Vergessen Sie nicht abzuschließen.«
Virginia murmelte etwas Unverständliches und schloss die Tür mit beträchtlich mehr Kraftaufwand als notwendig. Owen horchte, bis er das Geräusch vernahm, das ihm verriet, dass Virginia den Schlüssel im Schloss herumdrehte. Dann ging er die Stufen hinunter auf die Straße.
»Onkel Owen?«, rief Matt leise.
Er blieb stehen. »Ja.«
»Sie ist diejenige welche, nicht wahr? Die Frau, von der es in der Familie heißt, dass du auf sie gewartet hast.«
»Ja«, sagte Owen. »Aber tu mir den Gefallen und erwähn es nicht vor Miss Dean.«
»Warum nicht?«
»Weil sie es nicht versteht, nicht ganz jedenfalls. Noch nicht. Ich werde versuchen, es ihr vorsichtig beizubringen. Sie braucht Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, mich zu heiraten.«
»Nichts für ungut, Sir, aber nach Ihrem Ton eben jetzt zu schließen, glaube ich nicht, dass Sie die Situation zufriedenstellend erklärt haben.«
»Was erwartest du? Es ist das erste Mal, dass ich so etwas versuche.«
»Du darfst es ihr nicht beibringen, indem du die Keule schwingst. Frauen wollen umworben werden wie Heldinnen in Liebesromanen.«
»Was zum Teufel weißt du von Liebesromanen?«
»Aus Romanen kann ein Mann viel über Frauen lernen«, sagte Matt. »Du solltest mal versuchen, dich mit einem zu befassen.«
31
Owen ging bis ans Ende der Straße und bog um die Ecke in eine schmale Gasse ein, die an den Friedhof grenzte. Hier standen die Gaslaternen in großen Abständen, doch die tiefere Dunkelheit störte ihn nicht. Seine Sinne waren leicht gesteigert wie immer, wenn er nachts unterwegs war. Er registrierte die kleinen Geräusche und das Spiel der Schatten um ihn herum, ohne bewusst daran zu denken.
Der Jäger in ihm war immer auf der Pirsch, auf der Suche nach Spuren der Monster. Doch er spürte, dass in dieser Nacht etwas anders war. Er fühlte sich nicht von dem erbarmungslosen Drang getrieben, der ihm
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