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Unglaubliche Reise des Smithy Ide

Unglaubliche Reise des Smithy Ide

Titel: Unglaubliche Reise des Smithy Ide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R McLarty
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war nie sicher, aber ich glaube, Jeff hat Baseball gehasst. Er hasste den ganzen Betrieb, aber er wusste, dass wir glaubten, das Spiel könne einen retten, und deshalb sah er mit uns fern und versuchte, sich zu amüsieren.
    Irgendwann im vierten Inning, Cleveland war am Schlag, hörte ich etwas in der Einfahrt, oder ich glaubte etwas zu hören. Ich stand auf und spähte durch die Jalousie, aber ich konnte nicht sehen, was es war, und so ging ich hinaus auf die hintere Veranda. Ein bisschen Licht fiel von der Veranda, und kurz bevor die schwarze Dunkelheit begann, am Rand der Asphalteinfahrt, saß Norma in ihrem Rollstuhl. Sie schaute zu mir herauf, und in ihrem Blick lag so viel Leid und Verlorenheit, dass ich es mir noch heute nicht vor Augen rufen kann, weil es so schrecklich war. Ein paar Sekunden lang starrte ich sie nur an, wie gebannt von ihrer Qual. Sie griff an ihre Räder und rollte aus dem Lichtschein zurück. Ich sah nur noch ihre Füße und den Glanz ihrer Haare.
    »Hi, Norma«, sagte ich, als hätte ich mich nicht für viele Jahre zu schämen. Als hätte ich ihr Gesicht nicht gesehen. Ihre Augen.
    Erst sagte sie gar nichts. Ein Schweigen, das beklommen anfängt, dann befangen wird und sich schließlich ausbreitet wie eine weitere Niederlage.
    »Sie haben dich nicht umgebracht«, sagte sie, als ich das Schweigen nicht eine Sekunde länger ausgehalten hätte.
    »Mir geht’s gut.«
    »Ich bin ein Hund«, sagte sie. »Ich bin ein Hund und eine Katze und eine Ratte. Ich bin nichts.«
    Es gibt eine Art von Mut, den ein Mann – na, überhaupt jeder Mensch – zeigen sollte. Entschlossenheit. Tugend. Ein Heldentum, das alles beiseite schiebt, dessen du dir unsicher bist, und dich mit ausgestreckten Armen und offenem Herzen von der Veranda treibt, damit du jemanden umarmst und festhältst. Ich erinnere mich an 1972 als an das Jahr meiner Feigheit. Ich sagte nichts. Ich ließ ihre Trauer durch mich hindurchfließen.
    »Ich … ich bin nichts, Smithy«, sagte sie noch einmal.
    Ich wusste, dass sie weinte; ich hörte es daran, wie sie atmete und schniefte. Leise, bedingungslos, allein.
    »Nichts«, weinte sie noch leiser.
    Bethany hätte mich beinahe umgeworfen, als sie an mir vorbei zur Fliegentür stürzte. Sie sprang die Treppe hinunter und schlang die Arme um Norma. Mom kam ihr nach, und die beiden hielten sie ganz umschlungen wie ein Kind, das sie vor dem Unwetter beschützen wollten.
    »Was ist los?«, fragte Pop und kam heraus auf die Veranda.
    »Es ist Norma«, sagte ich leise.
    »Es ist Norma? Es ist meine Norma?« Dann war Pop bei ihnen, und sie wurden zu einer Festung aus Ides. Sogar Jeff Greene ging verwundert die Stufen hinunter, um bei ihnen zu sein und weg von den Red Sox.
    Ich blieb in der Tür stehen. Zum ersten Mal spürte ich, wie Luft durch meine Wunden entwich. Ich fühlte mich verändert. Ich fühlte mich verwandelt. Ich war etwas anderes, und das blieb ich lange, und ich sah, wie es sich in Normas stählernem Rollstuhl spiegelte, so klar wie in ihren Augen, knapp außerhalb des Lichts.

49
    D er Rotkarierte hieß Roger, und er war Kennys Vater. Die Kugel hatte mich am Hals gestreift, mich herumgedreht und in den schneekalten Oberlauf des Rio Grande geschleudert. Wieder Flüsse. Flüsse und Kugeln und die Verrückten, zu denen wir alle geworden sind. Als ich in dem eisigen Forellentümpel an die Oberfläche kam, dachte ich wirklich und wahrhaftig, ich würde, was auch passieren mochte, niemals ein misstrauisches Leben führen, niemals. Ein dummes Leben, sicher. Ein lächerliches, vielleicht, aber keins, in dem ich ständig miese Dinge erwartete. Das meine ich ernst.
    Der Fluss hatte Hochwasser, und der rasch schmelzende Schnee ließ es zusehends weiter steigen. Ich wirbelte benommen in einem kristallenen Strudel und wurde dann hart unter das überhängende Ufer gedrückt. Ich erinnere mich, dass ich dann Roger sah, aber da war ich nicht mehr im Wasser, sondern lag im Schnee. Geschrei, Motorenlärm, dann Bethany. Unser Garten. Sie war vielleicht zwölf oder dreizehn, und sie hatte sich das Haar für den Sommer wie ein Junge kurz geschnitten. Sie ging auf den Händen, die Beine gerade in die Luft gestreckt. Norma und ich saßen an einem Picknicktisch, obwohl ich mich nicht erinnern kann, dass wir jemals einen Picknicktisch im Garten hatten.
    Mein Pop hatte seine Baseballkluft an, und Mom hatte ihre großen Thunfischsandwiches gemacht, die natürlich viel besser waren als die, die mein Pop immer

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