Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unglaubliche Reise des Smithy Ide

Unglaubliche Reise des Smithy Ide

Titel: Unglaubliche Reise des Smithy Ide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R McLarty
Vom Netzwerk:
konnte nichts mehr sehen, und meine Glieder wurden steif wie Tiefkühlkost.
    Ich tastete nach meinem Rad. Ich streckte die Hände in alle Richtungen aus und wagte nicht, aufzustehen, denn ich befürchtete wirklich, der Wind, die ganze Wucht des Schneesturms, könnte mich in den Fluss tragen. Da, das Rad! Ich tastete mich hinunter zu den Satteltaschen. Es kam mir unglaublich dumm vor, die reine Zeitverschwendung und vielleicht völlig unmöglich, aber ich zerrte das Zelt heraus, wühlte nach den stählernen Heringen, stieß sie in den Boden und drückte die Glasfaserstangen hoch, bis der Nylonstoff sich rund wölbte. Ich öffnete die Schnappverschlüsse an den Satteltaschen, zog sie vom Fahrradrahmen herunter und schob sie ins Zelt. Der Wind drückte das Gestänge seitwärts, und die Heringe würden herausreißen, wenn ich es nicht mit meinem ganzen Gewicht festhielte. Drinnen war es dunkel und kalt. Ich kauerte zusammengekauert in der Mitte und konzentrierte mich darauf, das Zelt am Boden zu halten. Da hörte ich den Schrei.
    Erst war es nur leise wie das ferne Blöken einer wütenden Kuh, aber ich lauschte angestrengt und hörte eine dünne Stimme, die »Hilfe!« schrie, immer wieder »Hilfe!« Und dazwischen schrilles Weinen. Ich kannte diese angstvollen Laute. Mein Herz pochte im wilden, kalten Wind. Ich kroch aus dem Zelt.
    »Oh, bitte flieg nicht weg«, sagte ich laut.
    Ich bin nicht tapfer. Das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Inzwischen nicht mehr. Ich würde immer gern helfen, aber ich schätze, in mir ist eine Menge Unsicherheit.
    Ich stand vor dem Zelt, stemmte mich gegen den Wind und lauschte. Der nasse Schnee brannte in meinem Gesicht, und dann hörte ich es wieder. Einen Hilfeschrei. Ein Schluchzen.
    »Bleib still stehen und hör nicht auf zu rufen!«, schrie ich.
    »Ich hab Angst!«, schrie die Stimme.
    »Bleib still stehen und hör nicht auf zu rufen! Ich komme!«
    »Ich heiße Kenny! Ich heiße Kenny! Ich heiße …«
    »Nicht aufhören!«, schrie ich. Die Stimme war jetzt näher. Ich bemühte mich, in einer konstanten Linie geradeaus zu gehen, damit ich wenigstens eine Chance hatte, das Zelt wieder zu finden.
    »Ich … ich heiße …« Er fing wieder an zu weinen. Ein lautes, verzweifeltes Weinen. Lauter, als er sprechen konnte. Ich spürte ihn direkt vor mir und griff in die leere Luft, bis meine Finger ein T-Shirt zu fassen bekamen. Er war klein, und ich hob ihn hoch und warf ihn über meine Schulter.
    »Ich heiße Kenny! Ich heiße Kenny!«
    »Du kannst jetzt aufhören.«
    »Ich heiße Kenny!«
    Ich ging los, und ich betete, dass ich in die Richtung ging, aus der ich gekommen war. Ich ging, bis ich auf das Flussufer stieß. Ich hatte das Zelt verfehlt. Die Panik begann in meinen Füßen und Knien. Da fängt sie bei mir immer an. Panik drückte mich in jetzt schon wadentiefen Schneematsch. Ich wandte mich vom Wasser ab und glitschte mit eiskalten Füßen voran, und dabei tastete ich in alle Richtungen. Ich berührte etwas und fasste hoffnungsvoll zu. Mein Zelt. Ich strich mit der Hand daran entlang und suchte den Eingang. Wenn ich die Arme ausstreckte, konnte ich meine Hände nicht mehr sehen. Ein solcher Schnee ist unglaublich. Ein Wasserfall aus Schnee. Kalt. Peitschend. Da war die Zeltklappe.
    Ich fiel auf die Knie, kippte Kenny ins Zelt und kroch zu ihm hinein. Er wimmerte leise und zitterte dabei. Ich wusste nicht, ob er vor Kälte oder vor Angst zitterte, aber er trug nur Turnschuhe, ein T-Shirt und Shorts, und so kam es vermutlich von der Kälte. Im verschneiten Zelt war es stockdunkel. Ich schaltete meine Taschenlampe ein und zog meinen Schlafsack hervor.
    »Zieh die nassen Sachen aus«, sagte ich.
    Es beunruhigte ihn, sich vor jemandem auszuziehen.
    »Ich dreh mich so lange um. Zieh die Turnschuhe und das ganze Zeug aus und kriech in den Schlafsack.«
    Ich zählte bis fünfzig, und so hatte er eine Menge Zeit. Als ich mich umdrehte, guckte ein kleiner viereckiger Kopf mit einem blonden Bürstenhaarschnitt aus meinem Schlafsack. Er war vielleicht zehn Jahre alt.
    Ich zog meine lange Unterhose, die Wollsocken und die gefütterte Jeans aus meinem Rucksack.
    »Jetzt bist du dran mit Umdrehen«, sagte ich.
    Ich zog die schweren, warmen Sachen an und stopfte das andere Zeug in den Rucksack. Das Heulen des Windes draußen hörte sich an, als ob da unzählige Raketen starteten. Ich stellte mir vor, wie die Bäume aus dem Boden in die Höhe schossen. Das Zelt schwankte, aber es hielt. Der Schnee

Weitere Kostenlose Bücher