Unglaubliche Reise des Smithy Ide
meinen Kopf und dann durch meine hängenden Schultern hinunter in die Arme. Als ich den Takt in die Füße und bis in den Boden hinuntergeführt hatte, empfand ich so etwas wie Befreiung. Ich war außerhalb meiner selbst und mir zugleich näher. Wahrscheinlich drücke ich es nicht richtig aus. Ich bin kein miserabel gepackter Koffer mehr – ich glaube, das ist es, was ich meine. Ich habe nur das bei mir, was ich brauche.
Als ich die Augen öffnete, war die Sonne zum ersten Mal an diesem Tag hinter einer makellos runden Wolke hervorgekommen, und das Poolwasser, das noch eine Minute zuvor so still gewesen war, sträubte sich jetzt im Wind. Bethany stand auf dem Wasser, und die klumpigen Wellen leckten an ihren Füßen. Sie war achtzehn, und in ihrem Ballkleid und mit Mutters Schmuck sah sie noch jünger aus. Erst glitt sie wie auf Schlittschuhen umher, und dann drehte sie sich und erhob sich über den Pool und schimmerte in der kühler werdenden Luft.
»Bethany«, sagte ich gleichmütig und langsam. Es tat gut, dieses Wort auszusprechen, und ich sagte es noch einmal.
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D ie Leichtigkeit, mit der Georgina Glass mich aus der Fassung bringen konnte, war verblüffend. Wenn ich jetzt, nach Jahren, daran denke, glaube ich, dass Dr. Glass genau wusste, was sie tat. Ich war sozusagen eine Nummer in einer medizinischen Laufbahn, mit einer Spezialisierung auf etwas, wovon sie trotz ihrer ganzen Ausbildung nichts verstand. Ich glaube, sie wusste, dass ich so über Psychiater dachte, und warum auch nicht? Deshalb nahm sie immer schnurgerade Kurs auf meine Tränendrüsen, egal wie wichtig das Thema war oder wie verzweifelt ich mich anhörte. Ich verstehe sie also, und doch verstehe ich sie nicht. Wie immer.
Ich hängte ein, verließ Woody’s Tankstelle und fuhr geradewegs zu »Bovi’s Tavern«. Ein paar Jungs, mit den ich zur High School gegangen war, saßen meistens dort herum – diejenigen, von denen man immer schon angenommen hatte, dass sie dort landen würden. Ich setzte mich an das Ende der Bar, wo am meisten Platz war, und bestellte ein Narragansett Lager. Ich trank vier Glas rasch hintereinander, und dann wechselte ich zu Screwdrivers. Davon trank ich sechs oder sieben, und dann fuhr ich zu meiner Wohnung in der Newport Avenue. Ich habe diese Bude gehasst, solange ich darin wohnte, über zwanzig Jahre lang, aber am meisten hasste ich sie in den ersten paar Monaten. Ich habe nie ein Bild aufgehängt oder ein Möbelstück gekauft, das mir gefiel. Ich hatte immer die Hoffnung, ziemlich bald wieder draußen zu sein.
Ich machte mir noch einen Screwdriver und lockerte meinen Gürtel und den Hosenbund – wahrscheinlich wegen der Biere und Brezeln in »Bovi’s Tavern«. Dann setzte ich mich ans Ende des alten Sofas, das Pop mich aus dem Keller hatte holen lassen. Ich hätte gern jemanden angerufen. Ich wollte mich mit jemandem unterhalten. Nicht über Bethany oder so was. Einfach eine Unterhaltung, bei der einer etwas sagt und du zuhörst, und dann sagst du etwas, und der andere hört zu.
Das Telefon klingelte. Ich nahm beim zweiten Klingeln ab.
»Hallo?«, sagte ich.
Mir war, als hörte ich jemanden atmen, aber ich war nicht sicher. Dann summte es nur noch in der Leitung. Ich legte auf und setzte mich wieder hin. Ein paar Minuten später klingelte es noch einmal, und wieder meldete ich mich beim zweiten Klingeln.
»Hallo?«, sagte ich so freundlich, wie ein Betrunkener das kann.
Diesmal hörte ich etwas. Vielleicht Atmen. Die Verbindung stand. Sein Summen, nur ein unbehagliches Schweigen.
»Hallo. Hallo«, sagte ich.
In all der Stille spürte ich so etwas wie Ferne, als komme dieser Anruf aus Russland oder Australien oder Vietnam. Als ich dann die Stimme hörte, konnte ich nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Es war wie ein Krächzen aus einem Seerosenteich oder ein Schrei aus einem Fluchttunnel.
»Wau-wau«, sagte die Stimme. »Wau-wau. Wau-wau. Wau-wau.«
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F ür Suzanne of the Aspens brachte der Einbruch dieses ersten großen Rocky-Mountain-Winters unglaubliche Strapazen. Tagaus, tagein fegte der Schnee heran, und Herden von Elchen fraßen tatsächlich einen Teil ihres Brennholzvorrats auf. Wäre dieser »rettende Engel«, den sie in sich zu spüren behauptete, nicht gewesen, hätte diese Frau aus Boston niemals überleben können. Aber jeden Tag hüllte sie sich in dicke Schichten von Kleidern ihres Mannes und stapfte hinaus, um den Schnee von der durchhängenden Segeltuchplane
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