Unglückskeks - Angermüllers achter Fall
übrig, wie Marlene verärgert registrierte. Er sprach auch nur sie allein an. Es mochte ja sein, dass es Unsicherheit im Umgang mit Sophies Behinderung war, aber Verständnis hatte Marlene dafür nicht.
»Hallo, Marlene, was für eine Ãberraschung!«
Der groÃe, schlanke Mann in den edlen Klamotten, der von seinem Barhocker aufstand, war unverkennbar Sven. Er sah noch besser aus als früher, mit dem markanten Gesicht, dem vollen Haar, das er ein wenig länger als üblich trug, und trotzdem hatte seine Eleganz immer noch einen leichten Dreh ins Geckenhafte, fand Marlene. Sie gaben sich die Hand. Er drückte sie genauso schlaff wie früher. Auch Sophie, die ihn unentwegt durch ihre Sonnenbrille anstarrte, reichte er seine Rechte, welche diese nach kurzem Zögern ergriff.
»Grad hab ich dir vertellt, dat wir uns auf der Party bei Mirko getroffen haben, und nu isse hier, die Marlene! Sieht doch noch ziemlich knackig aus, oder?«
Alex haute ihr auf die Schulter und lachte dröhnend.
»Mädels, was wollt ihr trinken?«
»Danke, wir haben grad schon unseren Aperitif gehabt«, lehnte Marlene ab, die nicht die geringste Lust auf die Gesellschaft der beiden hatte. Sie wechselte mit Sven ein paar Worte, beantwortete seine Fragen nach ihrem Werdegang und ihrem Leben in Berlin, erkundigte sich der Höflichkeit halber, was er so machte und wie es ihm erging in Bad Schwartau. Natürlich erwähnte er seine Jahre in Shanghai, aber wie nicht anders zu erwarten, war auch jetzt alles prima. Und er machte deutlich, dass er eigentlich ein anderes Leben gewohnt war und seine provinzielle Umgebung mit einem Augenzwinkern ertrug.
»Ab und zu muss man mal ein paar Tage raus hier. London, New York, Shanghai. Dann gehtâs wieder .«
Und warum bist du dann hier?, lag es Marlene auf der Zunge. Was für ein prätentiöser Idiot! Doch sie wollte so schnell wie möglich weg aus dieser Runde. Auch Sophie fühlte sich mit den beiden nicht wohl, das spürte Marlene ganz deutlich. Deshalb sah sie auf die Uhr und log etwas von einer Einladung bei der Tante vor.
»Schade! Aber wir holen das nach!«, verkündete Alex, und Sven nickte eifrig.
»Alles klar, das machen wir! Dann einen schönen Abend noch für euch«, wünschte Marlene und schob, so schnell es in der Menge der Flaneure möglich war, mit Sophies Rollstuhl davon. Als sie sich ein Stück von Sven und Alex entfernt hatten, begann Sophie plötzlich wieder unruhig zu brabbeln und fahrige Gesten zu machen.
»Schatz, das hat keinen Sinn! Ich versteh so überhaupt nichts! Lass uns ein ungestörtes Plätzchen suchen, wo wir vielleicht auch zu Abend essen können, und du erklärst mir dann in Ruhe, was du mir unbedingt sagen möchtest.«
Marlene, die froh war, der Gesellschaft der beiden Männer und ihrem hohlen Geschwätz so schnell entronnen zu sein, fühlte sich auf der Stelle wieder gestresst von der Aussicht, nun rätseln zu müssen, was Sophie auf dem Herzen hatte. Natürlich wollte sie verstehen, was ihre Freundin derart umtrieb, wollte herausbekommen, was ihr Angst machte, auch zu ihrer eigenen Beruhigung, doch es kostete verdammt viel Kraft und Nerven.
Was weder sie noch Sophie bemerkten, war der Mann, der aus der Bierbar kam, als sie Alex und Sven verlassen hatten. Er klimperte mit einem Autoschlüssel und sah ihnen lange nach. Das glatte schwarze Haar trug er im Nacken zusammengebunden. Er war Chinese.
Kapitel VII
»Alles Gute im neuen Heim«, formulierte Angermüller ein wenig altbacken und überreichte einen Topf mit einer weiÃen Orchidee.
»Vielen Dank! Die ist ja schön!«, bewunderte Anja-Lena die üppig blühende Pflanze. Der Kriminalhauptkommissar freute sich, dass sein in letzter Minute besorgtes Geschenk so gut ankam. Als er Derya angerufen hatte, um ihr zerknirscht mitzuteilen, dass sie sich am heutigen Abend wieder nicht sehen könnten, hatte sie ihn sofort gefragt, was er denn der Kollegin als kleine Aufmerksamkeit zum Einzug mitzubringen gedachte, und ihn damit an das erinnert, was er sich zwar vorgenommen, aber längst wieder vergessen hatte. Wo andere verschnupft auf seine Absage reagiert hätten, nahm sich Derya lieber seiner Angelegenheiten an. Sie gab sich sogleich geschäftig, war mit guten Tipps und Ratschlägen zur Stelle.
Mittlerweile kannte er dieses Verhalten schon. So machte sie es immer, wenn sie
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