Unglückskeks - Angermüllers achter Fall
sich eine Enttäuschung nicht anmerken lassen wollte. Einerseits fand Angermüller die Art sehr sympathisch, wie sie ihre Frustration in Fürsorge umwandelte, andererseits fragte er sich, ob Derya auf die Dauer nicht zu viel hinnahm, ob nicht bei jedem Menschen das Reservoir an Duldsamkeit irgendwann erschöpft wäre.
Er musste an Astrid denken. Ihrer beider Probleme hatten einmal damit begonnen, dass er sie ihrer Meinung nach zu spät in Kenntnis setzte, wenn er unvorhersehbar abwesend sein musste, der Dienst in seine Freizeit ausuferte und er wieder einmal seinen familiären Pflichten nicht nachkommen konnte. SchlieÃlich hatte sie angefangen, seine Zuverlässigkeit stets und grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Auch wenn seine Beziehung zu Derya in mancher Hinsicht unkomplizierter war, sollte er ihre Toleranz nicht überstrapazieren. Auf keinen Fall sollte sie das Gefühl haben, sich stets nach seinen Bedingungen richten zu müssen.
»Hier! Für die neue Bude.«
Jansen drückte Anja-Lena eine Flasche Prosecco in die Hand und schielte sogleich neugierig in den Flur der Wohnung, die sich unter dem Dach eines relativ modernen, geräumigen Einfamilienhauses befand. Das Parterre und den ersten Stock bewohnte eine Familie mit mehreren Kindern, wie die umfangreiche Schuhsammlung vor deren Eingangstür belegte. Anja-Lena führte ihre Kollegen stolz durch die neue Behausung, und Angermüller äuÃerte gebührende Bewunderung, während Jansen skeptische Blicke warf. Hell und freundlich war die Mansarde eingerichtet, die teils schrägen Wände verliehen ihr eine gemütliche Note. Es gab ein kleines Arbeitszimmer, ein etwas gröÃeres Schlafzimmer und ein hochmodernes Bad. Aus dem Wohnraum, der einen Zugang auf einen recht geräumigen Balkon bot, winkten die Kollegen Thomas Niemann und Norbert Teschner. Auch Mehmet Grempel, der Kriminaltechniker vom K6, saà schon mit einem Bier auf dem Sofa und neben ihm Nico Timm, der leicht errötete, als Angermüller ihm freundlich zuwinkte. Aus der offenen Küche, die sich direkt anschloss, kam ein intensiver Duft nach exotischen Gewürzen und heiÃem Ãl gezogen. Hinter dem mittig angebrachten Herd, auf dem zwei Woks dampften, wirbelte emsig ein junger Mann. Er war Chinese.
»Dann sind wir jetzt vollzählig. Ameise hat ja abgesagt.«
»Der hat heute wahrscheinlich keinen Ausgang«, spottete Niemann. Die anderen grienten, und Anja-Lena bat alle an den groÃen runden Tisch in der Mitte des Zimmers.
»Jetzt gibtâs gleich Essen. Ich möchte euch aber zuerst noch Li Cheng vorstellen, genannt Steven. Er kommt aus Peking, ist mein Chinesischlehrer und ein ganz toller Koch. Er hat mir heute bei den Vorbereitungen geholfen. Also eigentlich hat er gekocht, und ich hab ihm nur zugearbeitet, denn es gibt natürlich chinesische Küche, wie du schon vermutet hast, Claus.«
Jansen setzte seine undurchdringliche Miene auf und gab sich gleichgültig, während Steven hinter dem Herd von einem Ohr zum andern lächelte und sich höflich verbeugte.
»Zuvor sollten wir aber auf deinen Einzug anstoÃen, liebe Anja-Lena«, meinte Angermüller und hob seine Bierflasche. »Auf eine glückliche Zeit in den neuen vier Wänden!«
Hier tranken alle das Bier aus der Flasche, Jansen seine Cola, also tat Angermüller es ihnen nach, obwohl er normalerweise ein Glas vorgezogen hätte.
»Prost, Kollegin!«
»Viel Glück mit der neuen Wohnung!«
Anja-Lenas Einladung zur Wohnungseinweihung zu folgen, war für Angermüller selbstverständlich gewesen, obwohl er gerne den Abend mit Derya verbracht hätte. Schon seit dem Vorabend seines Wochenendtrips nach Oberfranken hatten sie sich nicht getroffen, sah man von der nicht ganz so geglückten Ãberraschung bei seiner Rückkehr einmal ab. Aber als Kollege und Chef betrachtete er es als seine Pflicht, solche Termine bei seinen Leuten wahrzunehmen. Sie waren schlieÃlich ein Team, von dessen gutem Zusammenspiel so einiges abhing, vom Erfolg ihrer Fahndungsarbeit bis hin zur körperlichen Unversehrtheit in manchen Fällen. Und wenn jemand in seine Privatwohnung bat, fand er das umso anerkennenswerter. Er war also aus Ãberzeugung und gerne zu diesem Abend gekommen.
Womit er nicht unbedingt gerechnet hatte, war, gerade hier eine neue kulinarische Welt zu entdecken. Fasziniert beobachtete er Steven, der weiter
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