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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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dachte, wie sie betrogen worden war. Ronnie war es gewesen, die sie zu dieser Lebensweise verleitet, sie verführt hatte! Wie konnte sie sie nun wegwerfen, als ob dies alles nichts bedeutet hätte, nicht mehr als eine Phase gewesen wäre, die sie durchgemacht und nun abgeschlossen hatte? Sie hatte eine >normale< Liebe gefunden und überließ Mavis, die nicht zu einer anderen Art von Liebe bereit war, einfach sich selbst. Was sollte aus ihr werden? Eine einsame, verbitterte Lesbierin? Sie war in Jammer und Selbstmitleid zerflossen.
    Ronnie hatte der Szene ein Ende gemacht, indem sie zur Wohnungstür gegangen war und sie geöffnet hatte. Bevor sie ging, hatte sie noch gesagt: »Es tut mir leid, Mavis, schrecklich leid. Aber ich muß gehen, Philip wartet unten im Wagen auf mich. Er weiß nichts von uns, und ich möchte nicht, daß er es erfährt. Vielleicht werde ich es ihm eines Tages sagen, wenn ich seiner sicher bin. Glaub mir, Mavis, ich wollte dies nicht — ich wußte nicht, daß es mir je passieren würde —, aber es ist das Richtige. Ich glaube, wir irrten uns. Vergib mir, Liebling. Ich hoffe, daß du eines Tages finden wirst, was ich gefunden habe.«
    Ronnie war gegangen, und Mavis, gebrochen am Boden kauernd, zurückgeblieben, bittere Tränen vergießend, vor den Kopf gestoßen durch die Grausamkeit ihrer Liebhaberin, voll Entsetzen vor dem Schicksal, das sie vor sich sah. Schließlich hatte sie ihr Verhältnis als das erkannt, was es gewesen war: zwei Frauen, die in einer abnormen Beziehung zusammengelebt hatten. Sie hatte vorher niemals die Tatsache akzeptiert, daß sie homosexuell war, aber irgendwie hatte Ronnies Treulosigkeit jetzt ihre beiderseitigen Neigungen aller Empfindsamkeit entkleidet und Mavis wahre Natur im erbarmungslosen Licht der Realität enthüllt. Sie war eine Lesbierin!
    Das war eine Tatsache, mit der zu leben sie sich außerstande fühlte. Lang verdrängte Schuldgefühle kamen an die Oberfläche, und zum ersten Mal empfand sie Reue. Dennoch sehnte sie sich nach Ronnie, wünschte nichts sehnlicher, als sie in die Arme zu schließen, von ihr getröstet, besessen zu werden — und dadurch verstärkte sich ihr Schuldgefühl noch.
    Zuletzt hatte sie sich vom Boden aufgerappelt, das Gesicht fleckig und verschwollen vom Weinen, und sich mit angezogenen Knien auf das Sofa geworfen. Sie hatte an die vergangenen zwei Jahre gedacht, die Intimitäten, die sie miteinander geteilt, die Pläne, die sie geschmiedet hatten. Sie hatte ihre Gedanken in die Vergangenheit zurückwandern lassen, als sie beide jünger gewesen waren, Freundinnen, die über ihr unschuldiges Geheimnis kicherten. Sie hatte an das erste Mal in Bournemouth gedacht, wo ihre Verbindung ohne ihr Wissen besiegelt worden war. Warum hatte sich alles geändert? Was war es, das die Menschen dazu brachte, einander zu zerstören?
    Dann war sie zu einem Entschluß gelangt. Gegen die Tränen ankämpfend, war sie zu dem kleinen roten Mini hinuntergelaufen, den sie gekauft hatten, ohne daran zu denken, daß ein Tag kommen könne, da ihre Besitztümer wie die eines geschiedenen Ehepaares würden geteilt werden müssen.
    Sie war durch die Nacht nach Bournemouth gefahren und hatte nur dann hin und wieder angehalten, wenn es ihr nicht mehr möglich gewesen war, die Tränen zurückzuhalten. Ihr einziger Trost lag nun in dem, was sie tun wollte. Und einmal hatte dichter Nebel sie gezwungen, den Wagen anzuhalten.
    Nun stand sie barfuß am Strand und blickte im grauen Dämmerlicht auf die unruhige graue See hinaus. Sie weinte nicht mehr. Es hatte ja doch keinen Sinn zu weinen, wenn sie sterben wollte. Noch sah sie Ronnies Antlitz vor sich: das traurig lächelnde Gesicht, die weichen braunen Augen, die Trauer spiegelten, selbst wenn sie lachten.
    Mavis ließ die Schuhe am Strand zurück und ging auf das Wasser zu. Es war unangenehm kalt an ihren Füßen, aber die Kälte in ihrer Seele war mächtiger. Sie watete weiter hinein, das Wasser stieg ihr bis zu den Knien, die Wellen stießen gegen sie, als wollten sie sie zur Umkehr drängen. Das Wasser erreichte ihre Hüften, durchnäßte ihren dünnen Rock, berührte den Teil ihres Körpers, den Ronnie so oft liebkost und geküßt hatte. Sie sank tiefer, und nun schien die See sie hinauszuziehen statt zurückzudrängen, hieß sie in ihren alles einhüllenden eisigen Tiefen willkommen. Die Kälte und der Druck des Wassers, das ihr nun bis an die Brust reichte, machten ihr das Atmen schwer — und die

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