Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
Panik hatte er es gerade noch geschafft, sich eine Shorts anzuziehen. Hinter ihm stand Seth, atemlos, verwirrt und zornig, und auch er hielt einen weißen Pflock in seinen Händen umklammert.
„Daniel, Seth!“, stammelte Kyra unter Schluchzen. „Was ... passiert hier ... bitte, helft mir ... ich weiß nicht -“
„Halt dein Maul, du blutsaugende Bestie!“, schrie Daniel wutentbrannt. „Du warst es von Anfang an! Du hast dir unser Vertrauen erschlichen, damit ihr nach und nach sämtliche Orden auslöschen konntet!“
„Nein! Nein, ich war es nicht, bitte -“
„Du hast all diese Menschen getötet! Du bist ein Monster !“
„Ich war es nicht, bitte...!“
„Verrecke!“, schrie Daniel. „Du verdammtes Miststück!“
Er lief auf sie zu, übersprang den kaputten Kronleuchter am Boden und hob den Pflock über seinen Kopf. Kyra wich ihm aus, doch es wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Daniel hatte sich an dem Feuer, welches ihr Körper verströmte, an der Schulter verbrannt und zuckte zurück. Er sah Kyra mit einem so abgrundtief hasserfüllten Blick an, dass sie erschrak. Nie zuvor hatte er sie auf diese Weise angesehen.
„Abschaum!“, brüllte er. „Verfluchte Schlange! Ich werde dich eigenhändig töten, und wenn es mein Leben kostet!“
Er hatte kaum zu einem erneuten Schlag ausgeholt, als auch Seth auf Kyra zustürmte. Sie konnte sich vor Angst kaum rühren. Die beiden Menschen, die ihr in den vergangenen Tagen zu besten Freunden geworden waren, griffen sie nun an, mit der festen Absicht sie zu töten. Und Daniel … Noch vor ein paar Stunden hatten sie sich leidenschaftlich und wild geliebt. Und als sie die beiden sah, mit erhobenen Pflöcken und von Hass gezeichneten Gesichtern, überkam sie eine fürchterliche Erkenntnis.
Dieses Bild hatte sie schon einmal gesehen. Sie kannte dieses Szenario aus ihren Träumen. Alles geschah genauso, wie sie es Nacht für Nacht in ihren Albträumen gesehen hatte. Vielleicht wollte der Incubus sie nicht quälen, sondern warnen! Er musste gewusst haben, dass so etwas passiert. Daniel und Seth, die sie beschimpften, bedrohten, sie töten wollten ... Alles passte zusammen. Warum hatte sie das nicht kommen sehen? Wieso hatte sie ihre Träume nicht ernst genommen, die sie so lange vor einem solchen Geschehen hatten warnen wollen?
Sie war so erschrocken über diese Erkenntnis, dass sie nichts tun konnte, als dazustehen und mit weit geöffneten Augen ihrem eigenen Tod entgegenzusehen. Sie wich zurück und stolperte, fiel auf den Boden und krabbelte rückwärts über die Holzdielen, die sofort schwarz wurden. Daniel und Seth standen über ihr, bereit zum Schlag. Kyra wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn sie sich wehrte, würden die beiden womöglich schwer verletzt, wenn nicht gar getötet werden und das brachte sie nicht über sich. Daniel hatte ihr das Leben gerettet, hatte sie geliebt. Und Seth hatte sie immer wieder in Schutz genommen und sich mit ihr anfreunden wollen. Sie konnte ihnen unmöglich Leid zufügen.
„Bitte...“, flehte sie unter Tränen. „Bitte, ich weiß nicht...“
Doch sie wusste, dass es sinnlos war. Daniel und Seth waren beide so geblendet von Hass, dass sie ihr nicht zuhören wollten. Mit verzerrten Gesichtern starrten sie sie an, hoben die Pflöcke weit über ihre Köpfe und ließen sie niedersausen. Kyra schloss die Augen, gefasst auf den Schmerz, der sie sogleich durchbohren und ihr den Verstand rauben würde. Schon hielt sie den Atem an, presste die Lippen aufeinander und betete, dass es wenigstens schnell gehen möge. Doch wundersamer Weise blieb der zu erwartende Schmerz gänzlich aus.
Stattdessen durchzog ein lautes, wehklagendes Schreien die Luft, welches Kyra die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Sie öffnete die Augen – und Grauen packte sie am ganzen Körper. Eine riesige, lodernde Feuerwand ragte vor ihr auf. Dahinter konnte sie sehen, wie Seth's Oberkörper in Flammen stand und Daniels nackte Brust hässliche, glänzende Verbrennungen aufwies. Beide schrien vor Schmerz. Seth zog seine Klamotten aus und Daniel half ihm, das Gebäude durch eine Seitentüre zu verlassen. Dann waren sie verschwunden, doch ihre Schreie hallten weiter in Kyras Ohren, laut und vernehmlich. Ihr Atem ging schnell und unregelmäßig, sie wusste nicht, woher diese Feuerwand kam. Diesmal war sie sich
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