Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
und zu erfahren, was aus dem Mädchen geworden ist.“
Die Jäger tauschten nervöse und skeptische Blicke, doch viele von ihnen schienen nicht mehr ganz so feindselig zu sein.
„Eure Gesetzte verbieten es euch, Vampire zu töten, die keine Gefahr darstellen“, sagte Joe. „Wir sind euch nicht feindlich gesinnt, also nehmt endlich diese dämlichen Gewehre runter, die nützen euch sowieso nichts.“
Patrick musterte Joe mit einem bohrenden Blick, dann senkte er sein Gewehr und die Übrigen taten es ihm gleich.
„Na gut“, sagte er. „Bill ist im Bunker. Wir bringen euch zu ihm und ihr könnt ihm erzählen, was auch immer ihr zu sagen habt. Aber was das Mädchen betrifft, können wir euch nicht weiterhelfen. Sie gehörte zu den Vampiren, die unseren Orden angegriffen haben und ist danach spurlos verschwunden.“
Michael spürte etwas Schweres und Eisiges in seinen Magen sinken.
„Das hat sie nicht“, sagte er sehr leise.
„Hat sie wohl“, entgegnete Patrick mit Nachdruck. „Keiner von uns hat damit gerechnet, schließlich war sie tagelang mit zwei unserer Jäger unterwegs und Bill hat ausdrücklich gesagt, ihr dürfe nichts geschehen. Aber kurz, nachdem sie im Hauptquartier aufgetaucht ist, ist sie Amok gelaufen und hat alles in Brand gesteckt. Angeblich hatte sie noch Hilfe von zwei anderen Vampiren, aber kaum einer von uns hat die beiden richtig sehen können. Jedenfalls ist sie weg und ich kann nicht behaupten, darüber besonders unglücklich zu sein. Sie war ein verdammtes Biest.“
„Sprich nicht so über sie!“, rief Michael aufbrausend. „Du weißt doch nicht das Geringste über sie! Sie kann nichts dafür, okay? Und ich bin sicher, dass sie es nicht absichtlich getan hat!“
Patrick lachte hölzern auf.
„War ja klar, dass du dieses Mädchen aus deiner Sippschaft verteidigst! Aber ich sage dir, sie war es! Sie hat gebrannt wie eine verdammte, menschliche Fackel und unser Ordenshaus in Schutt und Asche gelegt! Ich habe es selbst gesehen!“
„Dann bist du eben blind!“, schrie Michael mit puterrotem Gesicht. „Kyra hat noch nie Feuer machen können! Sie ist -“
„Lass gut sein“, sagte Joe barsch. „Können wir endlich aufhören mit diesem kindischen Geplänkel? Ob sie es war oder nicht spielt im Moment keine Rolle. Gehen wir.“
Grummelnd lief Michael neben Joe her, der eine unergründliche Miene aufgesetzt hatte und seinen Freund schräg von der Seite beäugte.
„Ich dachte, du magst sie nicht“, sagte Joe leise. „Warum nimmst du sie in Schutz?“
„Weil sie nichts weiter ist als eine Marionette“, antwortete Michael wütend. „Marius benutzt sie nur! Sie hat bestimmt nicht gewollt, dass der Orden abbrennt! Ich bin sicher, dass Marius und Samael selbst dahinter stecken und es so aussehen ließen, als ob es Kyras Schuld gewesen wäre!“
„Warum sollten sie das tun?“
„Was weiß ich? Vielleicht, um den Jägern klar zu machen, dass sie wirklich absolut keinem Vampir mehr trauen können!“
Kyra erwachte jäh in rabenschwarzer Nacht. Durch den Torbogen zum Balkon wehte ein weicher, kalter Windzug in das Turmzimmer und zerzauste ihr die Haare. Rasch rieb sie sich die verquollenen Augen und sah sich um. Sofort brachen die Erinnerungen der vergangenen Nacht über sie herein, brachten sie beinahe erneut an den Rand der Tränen. Doch sie hielt sich eisern zurück. Sie durfte nicht um Daniel und Seth weinen. Sie hatten versucht, sie umzubringen und vielleicht hatten sie das am Ende sogar geplant, wenn sie ihnen nicht mehr nützlich gewesen wäre. Der Vergangenheit hinterher zu trauern brachte ihr nichts als Verzweiflung und Schmerz und sie hatte die Nase voll davon, andauernd nur zu leiden. Mit äußerster Mühe wischte sie die Erinnerung an Daniel und Seth beiseite und schälte sich aus dem Bett. Milde überrascht stellte sie fest, dass sie ein langes Nachtkleid trug. Barfuß lief sie über den kalten, staubigen Steinboden und drehte die Flamme einer Öllampe an der Wand ein wenig höher, so dass das kreisrunde Turmzimmer ein bisschen heller wurde. Soweit sie sehen konnte war sie allein und das stimmte sie unbehaglich. Sie ging auf den Balkon und sah über die Brüstung auf das wild peitschende Meer. Tief sog sie den wunderbar salzigen Duft ein und ließ sich von der spröden Gischt die
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