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Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)

Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)

Titel: Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.M. Nightingale
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sein Buch, doch er las nicht wirklich darin. In der ganzen Wohnung hing der Gestank von verbranntem Fleisch und Blut in der Luft, jedoch nur noch so schwach, dass ein Mensch ihn mit Sicherheit nicht wahrgenommen hätte. Für Michaels sensible Geruchsnerven war der Duft aber nach wie vor so intensiv, dass er sich am liebsten übergeben hätte. Selbst der Hunger auf Blut war ihm vorübergehend vergangen. Das Bild von Kyras Brandmarkung geisterte noch immer vor seinem inneren Auge herum und bereitete ihm zunehmend Übelkeit. Ihre Schreie hallten so laut in seinen Ohren, als stünde sie jetzt direkt neben ihm. Dass Joe Mitleid für sie empfand, war geradezu absurd. Wieder einmal wurde sich Michael der Unterschiede bewusst, die zwischen ihm und Joe herrschten. Joe war ein gefühlloser, erbarmungsloser Eisblock und durch seine harte Schale zu dringen erwies sich für jeden als gefährlicher Drahtseilakt. Doch Michael wusste, dass er nicht immer so gewesen war. Die Einsamkeit der Ewigkeit hatte ihn zu dem gemacht, was er heute war und eigentlich nie hatte werden wollen. Er konnte nur hoffen, dass Joe sein Tun eines Tages bereute. Michael stemmte die Hände in die Hüften und warf Joe einen wütenden Blick zu.
         „Was ist?“, fragte dieser, ohne von seinem Buch aufzublicken.
         Als Michael nicht antwortete, schlug Joe den dicken Wälzer zu und sah seinen Freund vorwurfsvoll an.
         „Wirst du jetzt wütend?“
         „Nein, ich werde es nicht, ich  bin  es!“, knurrte Michael.
         Er drehte sich um und ging die Treppen zum Obergeschoss hinauf.
         „Wo willst du hin?“, rief Joe um die Ecke.
         „Ich will nach ihr sehen, vielleicht hat sie sich schon etwas beruhigt.“
         Joe schüttelte den Kopf. Diese Gefühlsduselei konnte er nicht verstehen. Michael war viel zu sensibel und nett. Selbst bei seiner Arbeit als Detective ließ er oft Gnade vor Recht ergehen und zeigte viel zu viel Mitgefühl. Irgendwann würde sich das jedoch legen, spätestens dann, wenn er endlich begriff, dass die Welt nun mal keine Blumenwiese war. Es existierten Kreaturen auf diesem Planeten, die vernichtet werden mussten, um das Überleben der Menschheit und der Vampire zu sichern. Und Lilien fielen definitiv in diese Kategorie. Auch wenn das Mädchen nichts für ihr Schicksal konnte, so stellte sie doch eine Gefahr dar, die unbedingt eliminiert werden musste. Joe hatte das verstanden. Er wusste, er hatte das einzig Richtige getan. Auch wenn Michael ihn dafür hassen sollte, er würde es nie rückgängig machen wollen.
         Michael stieg die hölzernen Stufen empor, so vorsichtig, dass seine Schritte kaum zu hören waren. Das Obergeschoss bestand nur aus einem dunklen, mit Kirschholz getäfelten Gang, in dem kein Licht brannte. An den Wänden hingen antike Spiegel, die jedoch alle mit weißen Leinentüchern verhangen waren. Joe war sehr abergläubisch und war überzeugt davon, dass Spiegel die Seelen der Toten gefangen hielten. Deswegen hatte er bei seinem Einzug in das Appartement nicht lange gefackelt und die Spiegel abdecken lassen. Entfernen wollte er sie nicht, da es ihm nicht geheuer war, die Stücke von ihrem ursprünglichen Platz wegzuschaffen. Das war einer seiner vielen Zwangsneurosen, alles musste an seinem Platz bleiben. Er merkte es sofort, wenn Michael auch nur ein Artefakt aus der Wohnung anfasste und dieses dabei irgendwie veränderte.
         Vor Michael zweigte sich der Gang in einen Flur auf der Linken, von dem er wusste, dass er in Joes privates Zimmer führte. Dort hatte niemand Einlass. Selbst Michael wusste nicht, was sich dahinter verbarg. All die Geheimnisse um Joes mysteriöse Vergangenheit mussten dahinter liegen, doch das waren natürlich nur Vermutungen. Es konnte ebenso gut ein einfaches Arbeitszimmer sein. Zur Rechten befand sich ein Gästezimmer. Michael sog die Luft ein und roch, dass Kyra sich darin befand. Er konnte einen langsamen Herzschlag hören. Regelmäßig und ruhig. Er hob die Hand, um an die Türe zu klopfen, doch in eben jenem Moment drang eine zischende Stimme jenseits der Tür zu ihm durch.
         „Verschwinde!“
    Sie hatte ihn schon bemerkt, als er noch halb auf dem Weg nach oben gewesen war, hatte seinen verwesenden Duft wahrgenommen und den Geruch seines Woll-Trenchcoats. Sie war wütend. Wie konnte er es wagen, zu ihr zu kommen? Wenn sie gekonnt hätte, dann hätte sie die Tür eingeschlagen und ihm am liebsten die

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