Unheimliche Begegnungen (German Edition)
Menschenseele ein Wort zu sagen. Sie begleitete ihn an die Tür. Er winkte ihr noch zu, was sie zögerlich erwiderte.
Nachdem sie in die Stube zurückgekehrt war, sah sie einen Zettel auf der Erde liegen. Sie dachte, er habe ihn verloren und lief zur Eingangstür, um ihm noch nachzurufen, doch er war wie vom Erdboden verschluckt.
Ihr bereitete die Abwesenheit der Jungen sorgen, denn es war nicht ihre Art, ohne eine Nachricht zu hinterlassen wegzugehen, zumal sie wussten, dass sie auch zum Waldhaus kommen würde.
Sie setzte sich an den Tisch, um auf die Rückkehr der beiden zu warten.
In der Türfüllung erschien eine Gestalt. Vanessa konnte noch nicht erkennen, wer es war, denn das helle Licht von außen ließ diesen Unbekannten zunächst als eine Silhouette erscheinen. Erst als der Umriss sprach, erkannte sie die Person.
„Na, meine Süße, so allein? Ist dein Lover schon gegangen?“, fragte Jim und trat näher an den Tisch.
„Mein Lover?“, fragte sie gedehnt.
„Klar. Ich habe doch gesehen, wie du ihm noch nachgewunken hast. Das war doch der Santers, der aus der Hütte kam. Du willst wohl für deinen Bruder und Vinc schleimen, damit sie bessere Noten bekommen. Die machen eine gemeinsame Sache mit dir. Habt den Alten in ein Liebesnest gelockt und nun wollt ihr ihn erpressen.“
Zunächst war Vanessa sprachlos über das, was sich Jim zusammenreimte, dann fragte sie: „Dir muss ein Tannenzapfen auf den Kopf gefallen sein. Ich und Herr Santers. Schau mal in die Ecke dort.“
Er folgte ihrem weisenden Finger.
„Ich sehe nur einen Haufen zusammengefegten Dreck“, stellte Jim fest.
„Genau! Dazu kannst du dein Hirn legen. Denn was du da sagst, kann nur aus einem schmutzigen Hirn stammen.“
„Gib mal Acht meine Süße …“ „und nenne mich nicht immer Süße“, erboste sich Vanessa.
„Ich werde dich noch anders nennen. Mein Liebling, mein Darling, mein Herzchen.“
Das reichte Vanessa. Sie stand auf und verabreichte Jim so eine schallende Backpfeife, dass sogar die Vögel in der Nähe aufgescheucht wurden.
Er rieb sich die Wange, auf der sich zunächst alle fünf Finger weiß abzeichneten, um dann in blutrote Farbe überzugehen.
„Das hast du nicht umsonst gemacht, du dumme Ziege.“
„Na also. So spricht man mit mir“, sagte lachend Vanessa. Sie wusste, dass das Werben um sie noch kein Ende fand. Sie kannte Jim zu gut, um ihr nicht klar zu sein, dass er auf alle Fälle Rache planen würde. Und sie kam denn auch prompt. Das war aber nicht spontan wegen des Backenstreichs, sondern schien schon vorher in seinem Kopf entstanden zu sein.
Er griff in seine Hosentasche und holte ein Handy hervor.
„Ist doch schön, was man alles so mit diesen Dingern machen kann. Sogar kleine Videoaufzeichnungen.“ Er hielt das Handy in die Höhe.
Das war Jims Art. Er liebte es einfach, jemanden zu erpressen. Meist lauerte er wie ein Paparazzi irgendwo auf seine Opfer.
„Ein Glück, das ich hinter dir her geradelt war.“
„Zeige mir die Aufzeichnung“, forderte Vanessa.
Jim ließ die Aufnahme laufen. Vanessa sah das Waldhaus und auch sich, als sie winkte und irgendwas anderes im Hintergrund. Sie kniff die Augen zusammen:
„Ich kann es nicht richtig erkennen.“
Sie wollte dichter an Jim herankommen, doch er steckte das Handy schnell in die Hosentasche zurück.
„Warum machst du das? Ich wollte doch nur dichter herankommen, um das Video genauer zu sehen“, sagte sie.
„Damit du es mir aus der Hand reißen kannst und alle Beweise vernichtest. Was ich hab, habe ich. Nun zu meiner Forderung.“ Bei diesem Satz hätte Vanessa ihm am liebsten noch eine auf die andere Seite geklebt, doch er ahnte wieder einen Angriff und trat noch einen Schritt zurück.
„Ihr habt uns doch aus dem Waldhaus hinaus geschmissen.“
Vanessa nickte. Schon einmal hatte er die drei Freunde erpresst, mit seiner Bande diesen Ort als ihr Klubhaus nutzen zu können. Damals drohte er, ihnen das Leben zur Hölle zu machen, wenn sie das Waldhaus nicht auch für ihre Zwecke zur Verfügung hätten. So einigte man sich, dass der Bund der Gerechten jeden Mittwoch und Donnerstag das Haus in ihrem Besitz hatte. Die Bedingung aber war, dass sie auch zum Erhalt beitragen würden. Doch im Laufe der Zeit wollte Jim das gesamte Haus übernehmen und an Beteiligung zur Pflege dachte er überhaupt nicht. Da der Bund sieben Mitglieder aus rabiaten Jungs besaß, waren Vinc, Vanessa und Tom ihnen unterlegen. Doch die drei wurden älter und
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