Unheimliche Begegnungen (German Edition)
Dolch am Gürtel.
Die Gestalt schwebte auf Vinc zu. Er sah nicht das Gesicht, sondern nur zwei rot leuchtende Augen. Vermutlich ein Priester der Ykliten. Er begleitete ihn zu einem Altar. Dort ließ er ihn stehen und wendete sich dem Gottestisch zu.
Vinc wusste nicht, wie er sich verhalten sollte, da hörte er Vincent, sein Ebenbild in ihm, im Geiste sprechen: „Zeige Ehrfurcht und Demut, aber keine Angst. Sei stolz, bleibe aufrecht stehen, aber sei unterwürfig.“
Der Priester drehte sich wieder um und sagte: „Ich soll dich und deine Waffen segnen.“ Seine Stimme klang wohltuend, ja, man könnte sie sogar berauschend nennen. „Kehre in dich“, sagte er weiter und ergänzte nach einer kurzen Pause: „In dir ist die Person, die den Segen für dich empfangen wird.“
Vinc war über diese Kenntnis erstaunt, aber sagte sich zugleich, er war ja ein Priester einer Gottheit.
Der Diener der Ykliten streckte seine Arme aus, wobei Vinc glaubte, unter den weiten etwas zurückgefallenen Ärmeln des Talars, nur Knochen zu sehen. Der Priester murmelte ein paar Worte und aus dem Boden kam ein marmorner Opfertisch empor. Er gebot Vinc, näher an zu der eigenartigen Anrichte zu treten. Er konnte bequem drauf schauen. Er sah Stellen, die die Form eines Degens hatten und die eines Dolches.
Der Priester deutete auf sie und sagte: „Lege deine Waffen in die vorgesehnen Ausformungen.“
Vinc musste feststellen, nachdem er der Aufforderung nachgekommen war, dass die Vertiefungen exakt die Maße der Dinge hatten, die er hineintun sollte.
„Lege deine Tasche vor diesen heiligen Schrein. Die kannst du später wieder mitnehmen.“ Er bemerkte Vinc Zögern und ermunterte ihn mit den Worten: „Vertraue mir. Ich werde jeden Schaden
von ihr abwenden.“
Vinc überwand sein Misstrauen und auch die Scheu vor dieser Gestalt.
Der Priester hob wieder die Arme, der Opfertisch senkte sich etwas ab und auf ihm erschien eine Liege. Er forderte Vinc auf, sich darauf zu legen. „Entspanne dich. Ich werde dich jetzt in einen Traumzustand versetzen, dabei wird dein Geist mit dem anderen in dir eins werden. Er wird für dich den Segen empfangen.“
Kaum dass er auf der Liege lag, entschwanden seine Sinne. Aber er meinte, im Unterbewusstsein Stimmen zu hören.
Nachdem der Segen an ihm vollbracht war, erwachte er wieder. Er schaute seitlich, doch sein Blickfeld blieb begrenzt, so konnte er nicht feststellen, ob der Beutel noch vorhanden war. Warum waren die Lichter ringsum erloschen? Warum sah er nicht den Altar und den Prunk, der ihn beim Eintreten in den Dom so in Bewunderung versetzte?
Er meinte, sich außen auf einer freien Fläche zu befinden. Er blickte nach oben. Er sah den hellen Stern und gleich daneben die fliegende Insel.
„Du kannst aufstehen“, hörte er eine Stimme im Unterbewusstsein. Woher kannte er sie nur? Noch unter dem Einfluss der vergangenen Trance fragte er: „Wo bin ich? Was ist geschehen?“
„Dein Ebenbild in dir, deine Waffen sowie deine Kleidung wurden gesegnet“, war die freundliche Antwort.
Nun kam bei Vinc die Erinnerung zurück. Er sah vor sich den Priester der Ykliten wieder stehen.
Vinc weitere Worte kamen schleppend über die Lippen, als sei er von etwas schockiert: „Die Insel. Ich sah die fliegende Insel.“
„Nicht du hast die Insel des Schreckens gesehen, sondern die Seele in dir. Dein Ebenbild muss irgendwann einmal mit ihr in Berührung gekommen sein. Die Gedanken seiner Vergangenheit wurden auf deine übertragen und damit auch dieses Bildnis“, erklärte ihm der heilige Diener.
„Dann werde ich endlich erfahren, was es mit dieser Insel auf sich hat“, meinte Vinc erfreut.
Doch der Priester gab die enttäuschende Antwort: „Nein. Er wird es nicht mehr wissen. Nur, als ihr eins wart, eilten seine Gedanken in die Vergangenheit. Jetzt wird er wieder nur in der Gegenwart mit dir denken. In die Vergangenheit werden nur deine eigenen Gedanken gehen können.“
Vinc hörte die Turmuhr schlagen. Er zählte die Glockenschläge. Doch er konnte ihnen nicht folgen, denn er wurde vom Priester abgelenkt:
„Heute ist die Nacht des Mondes mit der vollen Scheibe. Stehe auf und nimm deine Sachen. Erfülle deinen Auftrag. Während eures Wartens achtet auf die Hüter der Toten.“ Mit dieser Warnung verschwand der Priester, als habe er sich aufgelöst.
Vinc stand auf und nahm die Sachen und schaute sich um. Er befand sich im Dom. Er nahm das Kästchen mit der Asche aus der Tasche, streute
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