Unheimliche Begegnungen (German Edition)
unbemerkt ausgetauscht. Ich konnte den Mord an den Jungen nicht verhindern, außerdem war er als Bote für den Dolch zu wertvoll. So konnte ich sein Leid nicht verhindern. Aber er war als Geisterkind für mich und den Ykliten von Nutzen. Ohne ihn hättest du den Dolch nicht gefunden und mich auch nicht. Nur so konnte er in deine Hände gelangen. Serius konnte mich finden und ihn dir übergeben, damit du zu dieser Bibliothek gelangst, die sich unter dem Dom der Ykliten in Madison befindet.“
Vinc zuckte zusammen, als er die Lage dieser Bibliothek hörte. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Aber auch dies musste lange zurückliegen und war so gut wie aus seinem Gedächtnis gelöscht. Aber eins wusste er genau: Es war den Anhängern der Ykliten nur gestattet, sich im Dom aufzuhalten, jedoch nur im Besucherbereich, weitere Räumlichkeiten waren tabu und wurden mit dem Tod geahndet.
„Wo exakt unter dem Dom und wo ist der Eingang?“, fragte er.
„Hinter dem Altar, wo die große Statue steht. An der Rückseite dieser Statue ist ein winziger Knopf, etwa zwölf Handflächen der Höhe vom Boden aus und zwölf der Breite vom linken Kelch. Mit der Spitze des Dolches musst du diesen Knopf berühren und der Eingang wird sich öffnen.“
Vinc zweifelte an seiner Mission, was er auch dem Seher kundtat: „Der Dom wird doch innen bewacht. Wie soll ich denn in diesen sensiblen Bereich vordringen?“
„Indem du genau um zwölf Uhr in der Nacht eindringst. Es ist die Zeit der Geister. Da versammeln sich die Priester in einem besonderen Raum, um mit ihren Vorfahren zu reden und zu beten. Nutze diese Stunde, um rein- und rauszukommen, denn danach wird sich die Bibliothek wieder schließen und du wirst dort ewig gefangen sein, ohne den Dolch können wir sie niemals mehr öffnen.“
„Ich habe den Dolch Serius gelassen. Hoffentlich haben ihn die Leute nicht schon ausgegraben“, sagte Vinc etwas betroffen.
Der Seher ließ sich die Situation vom Friedhof erklären. „Dann spute dich. Wenn sie Serius und den Dolch finden, ist es zu spät und wir haben verloren.“
„Du sagtest, wenn sich der Eingang schließt, kann er nicht mehr geöffnet werden, auch nicht von innen?“, fragte Vinc.
„So ist es. Den Dolch bekommst du nur für diese Mission. Jeder, der mit dort hineingeht, bleibt dort, wenn sich der Eingang geschlossen hat. Es ist eine Sicherheitsmaßnahme. Wenn du deine Mission beendet hast, erwarte ich dich hier wieder mit dem Dolch, den du mir dann übergibst. Er wird, sobald sich der Eingang öffnet, solange unbrauchbar, bis er sich wieder in meinem Besitz befindet.“
„Nur noch eine Frage: Kann ich mich als Geist dorthin begeben?“
„Nein. Du musst in fester Gestalt sein, denn du bist kein wirklicher Geist, sondern nur durch den Geisterdolch es geworden. So begib dich schnellstens auf den Weg.“ Vinc hielt den Dolch wieder gegen sich und hoffte, nicht zwischen den Leuten zu erscheinen, denn dann wäre das Risiko, gefangen genommen und getötet zu werden, zu groß.
Vinc hatte sich von der schützenden Stelle eines breiten Grabsteines zu der Festung der magischen Zwölf gewünscht. Da er an denselben Ort wieder zurückkehren musste, von dem er sich zu einem Geist werden ließ, war auch hier wieder seine Ankunft. Dadurch war er den Blicken der Suchenden entzogen. Er sah sie auch nirgends.
Er schlich trotzdem vorsichtig zu Serius Grab. Sein kleiner Leichnam war nicht mehr vorhanden. Aber er sah etwas blinken. Und siehe da, es war der Dolch, den offenbar die Grabschänder nicht gesehen hatten. Offenbar hatten sie auch keinen Auftrag nach ihm zu suchen.
Vinc wusste, er musste nun dringend die Bibliothek finden, denn wie er so in die Runde blickte, sah er nur noch geöffnete Gräber. Er konnte sich denken, dass sie leer waren und wer die sterblichen Überreste genommen hatte.
Jetzt wusste er auch, warum niemand mehr zu sehen war, denn hinter der Kapelle tauchte bereits ein Teil der aufgehenden Sonne auf und hüllte diese heilige Stätte in eine feuerrote Silhouette. Das umhüllende Licht flimmerte, als würde Blut an den Rändern der Kapelle hinabfließen.
Er wusste, dass ab jetzt eine der gefährlichsten Aufgaben vor ihm stand. Nicht nur, dass er an den Stadtwachen vorbei musste, sondern auch nachts, wie ein Dieb, durch die einsamen Gassen von Madison schleichen. In der Dunkelheit waren die Wächter besonders aufmerksam. Nur eines wusste er noch nicht, wie er in die Stadt kommen sollte, vorbei an den
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