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Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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ringelnden blonden Löckchen.
    Sie blieb einen Moment an seinem Bett sitzen und grübelte. Morgen stand ihr ein langer Bürotag bevor. Sie ging in Gedanken noch einmal das Gespräch mit Sascha Buckow durch, wie er sich als Filmproduzent vorgestellt hatte, obgleich es nach Tommis Informationen aus dem Produktionsbüro eher seine Frau gewesen war, die die Hosen anhatte. Die die Projekte vorangetrieben, kalkuliert, Geldgeber und Sponsoren gewonnen, Verträge und Lizenzen ausgewertet, mit den Sendeanstalten oder, wenn es ein Kinofilm war, mit den Verleihern verhandelt hatte. Letztlich hatte das wirtschaftliche Risiko allein bei ihr gelegen. Welches Motiv sollte Buckow haben, seine Frau umzubringen? Gut, das mit der Lebensversicherung mussten sie überprüfen. Aber warum sollte er ihr die Augen so grausam entfernen und diese ekligen Würmer hinterlassen? Das ergab alles keinen Sinn, es sei denn, er wollte mit dieser Inszenierung von sich und seinem Motiv ablenken und die Ermittler auf die Suche nach einem Irren schicken. Sehr unwahrscheinlich.
    Paulas Instinkt sagte ihr, dass sie tatsächlich nach einem Kranken suchen mussten. Nach einem, der wahrscheinlich überhaupt kein so leicht erkennbares Motiv hatte. Ein Fremder? Ein Teammitglied? Sie ging alle an dem Film Beteiligten, die sie im Laufe des Tages getroffen hatte oder über deren Arbeit sie einiges erfahren hatte, noch einmal im Geiste durch. Ihr fiel Tommis Schilderung des Produktionsleiters Schaub als einen freundlichen, ausgeglichenen Mann um die fünfzig ein, dessen Arbeit er sich ebenfalls im Einzelnen hatte erklären lassen. Schaub erstellte zusammen mit dem Regisseur den Drehplan, in dem festgelegt wurde, welche Szenen wann und wo gedreht werden und welche Schauspieler dann zur Verfügung stehen mussten. Er kontrollierte auch täglich das Produktionsbudget. Den Ablauf der einzelnen Drehtage überwachte und organisierte die Aufnahmeleiterin Verena Köster, die die Tote am Morgen zusammen mit der Requisiteurin Michaela Brenner gefunden hatte. Paula ließ alle Unterhaltungen, die sie tagsüber geführt hatte, Revue passieren.
     
    Sandra steckte den Kopf ins Zimmer, um nachzuschauen, ob Manuel immer noch nicht schlief. Paula legte den Finger auf die Lippen und folgte ihrer Schwester dann ins Wohnzimmer, wo Jonas mit einem Glas Rotwein saß. Sie erzählte, wie Manuel auf ihre Improvisationen beim Vorlesen reagiert hatte.
    »Er ist wirklich ein pfiffiger kleiner Bursche«, sagte Jonas lächelnd und schenkte den Schwestern Wein ein.
    Paula überlegte laut, warum Menschen sich überhaupt immer wieder neue Geschichten ausdachten, wo der Alltag doch schon so übervoll davon war.
    »Weil wir schwach sind«, sagte Jonas. »Weil wir die Leere nicht ertragen und auch die Stille nicht. Deshalb gibt es all die Erzählungen und die Filme. Wir brauchen sie zur Ablenkung.«
    »Ja, die Höhlenmalerei hatte eine magische Funktion, die Schrift und das Buch haben eine informative. Aber Fernsehen und Kino heute sind fast nur noch Unterhaltung«, ergänzte Paula.
    Sandra gähnte. Sie war ziemlich erschöpft von dem langen Reisetag und starrte in ihr Rotweinglas. »Und jetzt ergießen sich auch noch die Buchstabenlawinen der Internet-Erzählungen auf uns«, sagte sie seufzend. »Leute, ich muss sofort ins Bett.«
    Paula zog das ausgedruckte Drehbuch, das das Produktionsbüro ihr am Nachmittag geschickt hatte, vom Wohnzimmertisch zu sich heran. Sie wollte vor dem Schlafengehen noch einen Blick hineinwerfen.
    Sandra streckte sich und wünschte eine Gute Nacht. »Ich mache morgen Vormittag mit Manuel einen Spaziergang durch Charlottenburg. Vielleicht gibt es einen Spielplatz in der Nähe.«
    »Ich bin morgen früh sicher schon in der Klinik, wenn ihr aufsteht«, sagte Jonas. »Aber hier ist meine Handynummer, falls ihr irgendetwas braucht, während Paula auf der Jagd nach den Bösen ist …« Er machte ebenfalls Anstalten, ins Bett zu gehen. Sein Wecker würde um halb sechs klingeln, der Dienst in der Klinik begann um sieben Uhr. »Bleib auch nicht mehr so lange auf«, sagte er zu Paula und legte ihr zärtlich die Hand auf die Schulter.
    »Nein, nein, ich will nur schnell das Drehbuch hier durchblättern …«, antwortete sie. Sie hatte ihr Glas nochmals gefüllt und nahm die erste Seite des dicken Papierstapels zur Hand. Sie bemerkte, dass darauf der Name der Filmproduktion auffällig groß und der Name des Autors ziemlich klein gedruckt war. Die zahlreichen neuen Informationen, die sie

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