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Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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»Es gibt manchmal Hinweise, die man in der ganzen Aufregung vielleicht übersieht. Deshalb schauen wir uns noch einmal gründlich um.« Was er nicht laut aussprach, war: »Und es gibt Eltern, die mit tränenerstickter Stimme die Polizei alarmieren, nachdem sie ihr eigenes Kind in die Tiefkühltruhe gepackt haben.«
    Schnell zog Paula ihren Ausweis und erklärte, dass eine Durchsuchung ihrer Wohnung unnötig sei. Die Beamten nickten verständnisvoll und begannen ihre Arbeit einen Stock tiefer.
    Als Paula in die Küche kam, saß Sandra am Tisch und rührte in ihrem Tee, obwohl gar kein Zucker darin war. Sie stellte immer wieder die gleichen Fragen, die ihr niemand beantworten konnte, nur unterbrochen von ihrem Schluchzen. »Wo ist mein Sohn? Wo ist Manuel?« Paula telefonierte, machte Notizen, kochte Kaffee für die Beamten und strukturierte alle eingehenden Informationen. Sie hatte die Handynummer des Einsatzleiters und stand auch in permanenter Verbindung mit der Vermissten-Abteilung in der Keithstraße. Sie kannte die Kollegen dort und wusste, dass alle mit ihr fühlten.
    Sandra konnte weinen, Paula nicht. Wie ein Automat versuchte sie den Überblick zu behalten, während mehr als hundert Polizisten ganz Charlottenburg auf den Kopf stellten.
    »Er ist doch nur ein wehrloser kleiner Junge«, flüsterte Sandra. Dann hob sie ihr verweintes Gesicht und sagte flehentlich: »Wird er morgen wieder zu Hause sein?«
    Paula blickte sie zuversichtlich an. »Bestimmt.«
    »Manuel friert so leicht«, sagte Sandra. »Er hat bestimmt Hunger und furchtbare Angst. Vielleicht hat er seine fünf Euro verloren und kann sich nichts zu essen kaufen.«
    Paula stand auf und nahm sie in den Arm. Sie wusste nur zu gut um die Verzweiflung eines Kindes, das allein und frierend in der Dunkelheit saß. Weinend und wartend, dass seine Mutter endlich kommen und es in die warme Wohnung bringen würde. Ganz sicher wusste Manuel nicht, dass seine Mutter sein Rufen nicht hören konnte.
    Endlich kam Jonas nach Hause, in der Klinik hatten sie ihn wegen neu eingetroffener Notfälle doch nicht so schnell gehen lassen. Paula hatte im Laufe des Nachmittags mehrmals mit ihm telefoniert. Er umarmte die Schwestern und ließ sich noch einmal genau erzählen, was passiert war. Schließlich überredete Paula Sandra, sich ein wenig hinzulegen. Sie kochte ihr einen Kräutertee, half ihr beim Ausziehen und deckte sie zu. Jonas hatte eine Beruhigungsspritze für Sandra vorbereitet. Damit würde sie bestimmt ein paar Stunden schlafen können.
    Paula blieb bei ihr, bis sie sah, dass Sandras Gesichtszüge sich entspannten und sie in einen tiefen Schlaf glitt. Dann ging sie zu Jonas ins Wohnzimmer, und gemeinsam sprachen sie noch einmal alle Möglichkeiten durch, wo Manuel sein könnte.
     

38
    A m späten Abend rief der Einsatzleiter Paula an. Ein Polizist hatte in der Waitzstraße eine blaue Schirmmütze gefunden, zirka dreihundert Meter von ihrem Haus in der Sybelstraße entfernt. Es war Manuels Schirmmütze.
    Paula wusste, dass man nun mit dem Schlimmsten rechnen musste. Jemand musste ihn angesprochen und mitgenommen haben. Jemand, den Manuel kannte, oder aber jemand, der ihn gegen seinen Willen mitgenommen hatte. Frank, Manuels Vater, konnte jedenfalls nichts mit dem Verschwinden seines Sohnes zu tun haben. Die Beamten aus Düsseldorf hatten ihr noch am frühen Abend berichtet, dass er nachweislich den ganzen Tag im Büro gewesen sei.
    Die Schirmmütze war sofort in die PTU zur Untersuchung von Spuren gebracht worden, die Befragungsaktion der Polizei hatte sich auf die Bewohner der Waitzstraße verlagert. Zwei ältere Bewohner hatten einen kleinen Jungen gesehen, auf den die Beschreibung passte, beide sagten aus, er sei in Begleitung eines Erwachsenen gewesen. Leider konnten sie sich aber nicht genau daran erinnern, ob es eine Frau oder ein Mann gewesen war. Zwanzig Polizisten bearbeiteten im Schichtdienst die eingehenden Anrufe. Eine handfeste Zeugenaussage gab es bislang nicht.
    Gepeinigt von quälender Angst und heftigen Schuldgefühlen legte Paula sich schließlich auch ins Bett. In der Nacht schreckte sie schweißgebadet aus einem furchtbaren Albtraum hoch. Sie stand auf und ging in die Küche, um ein Glas kalte Milch zu trinken. Jonas holte sie ins Bett zurück und hielt sie so lange in seinen Armen, bis sie wieder in den Schlaf zurückfand. Medikamente wollte sie nicht, seine ruhige Zuversicht war die bessere Medizin.
     
    Es war noch dunkel am nächsten

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