Unschuldig
Einheit an Uniformierten, die die Umgebung in Charlottenburg systematisch durchkämmen sollten. Der Beamte versprach ihr, sein Möglichstes zu tun. Er verband sie mit einer Kriminalbeamtin, die von Paula alle Angaben über Manuel haben wollte. Paula ging mit dem Telefon zu Sandra ins Gästezimmer.
Sandra saß unbeweglich auf dem Bett und starrte mit bleichem Gesicht ins Leere.
»Hier ist Frau Beginski von der Kripo, die dir ein paar Fragen stellen möchte.« Sie reichte Sandra das Telefon. Sie selbst wusste nicht die Größe von Manuels Kleidung und auch nicht, wo sie gekauft worden war und ob er einen Kinderausweis hatte. Sie brauchten ein Foto, und Paula ging ins Wohnzimmer, um an ihrem Laptop ein geeignetes herauszusuchen. Das erste, das auf ihrem Bildschirm erschien, war von Weihnachten. Manuel trug eine rot-weiße Zipfelmütze und lachte mit strahlenden Augen in die Kamera. Sie mailte das Foto an die Dienststelle und telefonierte erneut, um Personensuchhunde anzufordern. Ihr wurde auch zugesagt, dass alle Krankenhäuser Berlins angerufen würden.
Sie ging zurück zu Sandra ins Gästezimmer und setzte sich neben sie.
»Überleg bitte noch einmal, was könnte ihn bewogen haben, irgendwohin zu gehen?«
»Nichts. Er liebt Tiere, das weißt du doch. Um nichts in der Welt hätte er einen Ausflug in den Tierpark sausen lassen.«
»Ist er schon mal abgehauen? Ich meine, habt ihr ihn schon mal suchen müssen?«
Sandra schüttelte den Kopf. »Nein. Wieso sollte er denn weglaufen? «
Die einzige Schwachstelle aufseiten ihrer Familie könnte Frank sein, Manuels Vater. Paula hielt es zwar im Grunde für ausgeschlossen, aber es gab manchmal auch Geheimnisse, die erst bei Familienkatastrophen ans Licht kamen.
»Erzähl mir noch mal ein bisschen von Frank. Warum hast du dich damals in ihn verliebt?«
Mit leicht zitternder Stimme sagte Sandra: »Er war attraktiv, mutig, stand auf meiner Seite. Wir haben im gleichen Semester Geschichte und Literaturwissenschaft studiert, tranken Rotwein, rauchten ein bisschen Gras. Wir hatten den gleichen Humor. Ich wurde schwanger, hörte auf zu rauchen, zog Hals über Kopf zurück zu Mama. Und schickte Frank in die Wüste, als er mir gestand, dass er eine Frau und zwei kleine Kinder hätte. Das war’s dann. Er meldete sich nur zu Manuels Geburtstagen und an Weihnachten. Aber wirkliches Interesse für seinen Sohn hat er eigentlich nie gezeigt.«
»Aber du hast doch gesagt, dass er häufiger nach Köln gekommen ist, um mit Manuel am Wochenende etwas zu unternehmen.«
»Ja, aber erst seit ungefähr einem Jahr. Jetzt kommt er so alle zwei, drei Monate. Mir passt das überhaupt nicht, weil Manuel nach dem Zusammensein mit seinem Vater immer völlig durcheinander ist. Manuel ist ein ganz normaler Junge, der Sicherheit und geregelte Verhältnisse braucht. Du kannst Kinder nicht einfach hin- und herschieben und an ihnen herumzerren, nur weil die Väter plötzlich keinen anderen Zeitvertreib mehr wissen.«
Sandra kamen die Tränen. Sie stand auf, ging ans Fenster und blickte hinaus, als könnte sie Manuel unten im Hof entdecken.
Paula betrachtete ihre Schwester und fragte sich, warum Frank eigentlich seine Düsseldorfer Familie nicht für sie verlassen hatte – Sandra war so eine intelligente, attraktive und liebevolle Frau.
Es klingelte.
Sandra schreckte auf, und Paula rannte sofort zur Tür. Als sie sie aufriss, stand ein großer Mann in Polizeiuniform vor ihr, der sich als Einsatzleiter vorstellte. Der Beamte informierte die Schwestern, dass sie mit fünf Spürhunden unten warteten und sich bereits eine Einsatzhundertschaft sowie etliche Inspektionsstreifen in Marsch gesetzt hätten. Er benötige ein Kleidungsstück von dem verschwundenen Kind, um es den Spürhunden vorzuhalten.
Paula bat Sandra um einen Pullover und eine Unterhose von Manuel. Dann ging sie mit hinunter auf die Straße und stellte fest, dass die Sybel bereits weiträumig abgesperrt war. Der Einsatzleiter erklärte ihr, dass auch ein Hubschrauber unterwegs sei, um die Hinterhöfe, Parks und sonstige Freiflächen aus der Luft zu kontrollieren.
Die Polizisten hatten die ausgedruckten Fotos von Manuel dabei und würden nun systematisch die Umgebung absuchen und sämtliche Bewohner befragen. Einige von ihnen begannen oben im Haus. Paula begleitete sie hinauf.
Sandra, die bange wartend in der offenen Eingangstür stand, fragte: »Warum wollen Sie denn jetzt unsere Wohnung durchsuchen? «
Einer der Beamten erklärte:
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