Unschuldig
von dem Typen, mit dem Felix Kleist in der Paris Bar gegessen hat. Er ist wahrscheinlich der Täter.«
»Na und? Das haben wir doch sowieso angenommen.«
»Gegen Mitternacht kam das Ergebnis aus der PTU von Manuels Schirmmütze. Sie haben Haare und Hautpartikel gefunden, die nicht von dem Jungen stammen können. Die hätten natürlich auch von Sandra oder dir oder sonst jemandem sein können, aber: Die DNA passt genau zu der aus der Mütze mit den Schlitzen aus der Paris Bar. Es gab noch nachts um eins eine Besprechung mit dem Direx, sogar Häuptling Westphal ist erschienen, und der Beschluss war die neue Soko.«
Paula wollte etwas einwenden, aber Tommi ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Du kannst dich beruhigen. Wir haben uns alle dafür eingesetzt, dass du die Kommission leitest.«
»Okay.« Erleichtert atmete Paula auf.
»Auf dem Rücksitz liegt der Bericht der PTU. In der blauen Mappe. Ich wollte, dass du das alles vor der Besprechung erfährst. «
»Danke!« Paulas kurzes Aufatmen bezog sich nur darauf, dass sie weiter in der Verantwortung bleiben konnte, die sie Sandra gegenüber hatte. Da würde es sonst keinen geben, der so motiviert war wie sie. Doch schon beim nächsten Gedanken war es mit ihrem Frieden vorbei. Was, um Himmels willen, wollte der Optiker von Manuel? Ihr Neffe war von einem Mörder entführt worden, der mit größter Wahrscheinlichkeit drei Menschenleben auf dem Gewissen hatte! Ein Perverser, der Menschen mit K.-o.-Tropfen wehrlos machte und ihre Augäpfel herausriss! Oder hatte er es auf sie abgesehen? Wollte er sie attackieren? Sie unter Druck setzen? Alle möglichen schrecklichen Szenarien rasten ihr durch den Kopf. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Wollte er sie erpressen, damit sie irgendwelches Beweismaterial aus den Morduntersuchungen unterschlug? Diese Überlegung gab ihr wieder Hoffnung. Wenn er sie erpressen wollte, müsste er Manuel am Leben lassen.
Und dann wanderten ihre Gedanken zu Sandra. Das Wissen, dass Manuel in den Fängen dieses irrsinnigen Killers war, würde sie nicht ertragen. Sofort spürte Paula, dass sie bereits jetzt ihrem ersten Konflikt gegenüberstand. Als Einsatzleiterin der Soko würde sie vielleicht die Medien um Unterstützung bei der Suche nach dem Entführer, der bereits mehrere Menschenleben auf dem Gewissen hatte, bitten müssen. Als Schwester der betroffenen Mutter wollte sie aber, dass die Zusammenhänge nicht in die Öffentlichkeit gelangten.
»Was ist mit der Presse? Wissen die schon davon?«
»Nein. Die neue Soko existiert ja erst seit ein paar Stunden. Es gibt vor allem eine Menge Polizisten, die noch nicht mit den Fällen vertraut sind. Die Einführung wird der Polizeidirektor übernehmen. Dann bist du dran.«
»Ich denke, das Erste sollte eine Informationssperre sein. Wir müssen erst einmal selbst intern ein genaues Bild von der Situation haben, bevor wir an die Medien gehen.«
Tommi stimmte zu. Der Gedanke war richtig, da würde es auch von höherer Ebene keine Einwände geben. So hatte Paula noch ein bisschen Schonzeit für Sandra gewonnen.
In den Fluren der Keithstraße war es gespenstisch still. Bei der ersten Einsatzbesprechung gab es nur Stehplätze. Mehr als zwanzig Beamte hockten auf Schreibtischkanten, lehnten an den Wänden, spähten über Schultern. Paulas Unruhe hatte sich durch die schockierende Nachricht, dass Manuel sich in den Händen des Optikers befand, fast ins Unerträgliche gesteigert.
»Einer unserer Leute wurde entführt«, hörte Paula einen jungen Kollegen zu einem anderen sagen. Sie spürte einen Stich im Herzen, aber irgendwie auch Stolz, dass die Kollegen ihren kleinen Neffen als einen der ihren ansahen.
Paula ging als Erstes auf den Polizeidirektor Gebhardt zu, begrüßte ihn und bedankte sich für die Entscheidung, ihr die Leitung der Fälle weiterhin zu überlassen.
»Ich hoffe, wir können jeden Interessenkonflikt ausschließen«, sagte er.
»Ja, darauf können Sie sich verlassen«, versicherte ihm Paula.
Gebhardt erhob sich, während Tommi mit dem Löffel gegen eine Tasse klopfte, damit alle ihre Unterhaltungen einstellten.
Der Direktor hielt eine kurze Ansprache, in der er die Bedeutung des Falles für die Berliner Bevölkerung und auch für den Innensenator darstellte. Er sagte, es wäre schön, wenn keine Schnitzer oder Fahrlässigkeiten vorkämen, besonders, weil es hier um das Leben eines sechsjährigen Kindes ging. Dann stellte er Paula vor, betonte, dass sie das volle Vertrauen
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