Unser Sommer in Georgia
blieben noch ein Weilchen reglos liegen.
»Ich weiß, dass er ein Schulfreund von dir ist und so weiter, aber Mensch noch mal, er darf einfach nicht so auf dich losgehen!«
»Das macht er schon, seit er vor ein paar Jahren hergezogen ist. Ich glaube, er ist sauer, weil ich alles besser kann als er.«
»Trotzdem darf er ... das nicht. Er hat dich geschlagen, Riley. Das darf niemand, hörst du, niemand.«
»Ich weiß, aber ich hätte ihn selbst zurückgeboxt.«
Mack rührte sich fast unmerklich; es war nur eine winzige Bewegung, aber plötzlich spürte Riley ihren ganzen Körper wieder: nach den Zehen auch die Beine, dann die Arme und ihr rasches Herzklopfen. Jetzt waren sie wieder getrennt. Mack stand auf und streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen.
Ihre Worte verklangen in der Dunkelheit, als wären sie ausgesprochen und doch nicht ausgesprochen worden; als wären sie wichtig und gleichzeitig vollkommen unbedeutend; als hätten zwei Menschen gesprochen oder vielleicht doch nur einer. Im Dunkeln, das erkannte Riley später, verschwamm die Bedeutung der Worte und der Berührungen ein wenig.
In den Sommern, die sie noch zusammen hatten, versuchte Riley, diese Einheit wiederzufinden. Als es vorbei war, als die Jugend endete und Mack sich für Maisy entschied, wurde ihr bewusst, was sie an jenem Abend auf dem Steg gelernt hatte: Nach diesem Erlebnis konnte sie ihre Gefühle von Nähe und Einssein nie wieder als Liebe bezeichnen. Und nie wieder würde sie sich vormachen, dass ihre Liebe erwidert wurde, dass ein junger Mann mehr für sie empfand als freundschaftliche Gefühle.
Riley schaute den Pearson's Pier entlang und beobachtete, wie ihr Sohn einen Köder am Haken befestigte. Sie ermahnte sich, im Moment zu leben und dabei Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.
Zum Krankenhaus ging sie am Strand entlang nach Norden und auf der Sixth Avenue fünf Blocks landeinwärts Richtung Westen. Als sie das Gebäude betrat, musste sie wieder die Erinnerungen an die letzten Lebenstage ihres Vaters verscheuchen, der mit Lungenkrebs dort gelegen hatte. Wenn die Wirkung der Morphiumspritze nachließ und er noch keine neue Dosis bekommen hatte, war er kurzzeitig bei klarem Verstand gewesen, hatte dann aber bald wieder unter Schmerzen gelitten. Während dieser kurzen Erholungspausen hatte Riley sich beeilt, ihm zu sagen, wie lieb sie ihn habe und wie viel er ihr bedeute. Dabei hatte sie sich ständig gefragt, warum sie diese Worte in ihrem ganzen Leben noch nie ausgesprochen hatte.
Kitsy Sheffield lag in einem Krankenzimmer im vierten Stock. Riley gab ihrer schlafenden Mutter einen Kuss auf die Wange und griff nach der Karteikarte am Fußende des Bettes, um die Einträge der letzten Nacht zu lesen - Temperatur, Blutdruck und Urinmenge. Die Fachsprache hatte sie während der Krankheit ihres Vaters gelernt.
Kitsy öffnete die Augen. »Wo warst du denn bloß?«
»Ich war hier.« Riley nahm die Hand ihrer Mutter und lächelte. »Und du?«
»Soll das etwa witzig sein?« Kitsy kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Riley hatte keine Ahnung, wie sie dadurch noch sehen konnte.
»Leider ja. Das sollte lustig sein. Ich habe gearbeitet, und dann habe ich darauf gewartet, dass Brayden nach seinem letzten Schultag nach Hause kam.«
»Ich war die ganze Nacht hier allein und auch noch den größten Teil des Tages. Wenn sie mir nun die falschen Medikamente gegeben oder mich ... vergessen hätten?«
»Mama, ich kann hier nicht übernachten - ich habe doch Brayden. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass dich jemals irgendwer vergessen könnte.«
»Wo sind deine Schwestern?«
Riley drückte ihre Hand. »Die sind beide unterwegs. Adalee kommt heute Vormittag mit dem Auto von ihrer Universität; ich habe gestern Abend mit ihr gesprochen. Maisy kommt morgen Nachmittag mit dem Flugzeug, fünf Tage früher, als sie ursprünglich geplant hatte.«
Kitsy riss die Augen auf. »Maisy kommt früher? Willst du damit sagen, dass ich all die Jahre, die ganze lange Zeit, nur die verdammte Treppe hätte runterfallen müssen, um sie nach Hause zu holen? Also werden meine Töchter endlich alle hier sein.«
Riley lachte und ließ die Hand ihrer Mutter los. Sie kramte in ihrer Handtasche und förderte einen Muffin zutage, der in eine Serviette gewickelt war. »Ich hab was für dich eingeschmuggelt - dein Lieblingsgebäck, einen Cranberry-Muffin.«
Kitsy versuchte, sich im Bett aufzurichten, aber mit ihren bandagierten Rippen und dem Handgelenk
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