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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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anderer Mann. Hat dir schon mal ein anderer Mann Avancen gemacht?
    Ich bin schon öfter mal seltsam angestarrt worden, aber gesagt hat noch keiner was zu mir.
    Also hast du noch nie.
    Was?
    Sex mit einem anderen Mann gehabt.
    Gott, nein.
    Auch nicht, als du klein warst?
    Was redest du da? Kleine Jungen haben keinen Sex. Können keinen Sex haben - aus dem simplen Grund, dass sie kleine Jungen sind.
    Ich meine ja nicht so klein. Ich rede von der Zeit kurz nach der Pubertät. Als du dreizehn, vierzehn Jahre alt warst. Ich dachte, alle Jungen in diesem Alter wichsen sich gern gegenseitig.
    Ich nicht.
    Und das berühmte Gruppenwichsen? Da hast du doch bestimmt mal mitgemacht.
    Wie alt war ich, als ich zum letzten Mal im Sommerferienlager war?
    Weiß ich nicht mehr.
    Dreizehn ... Ich muss dreizehn gewesen sein, denn mit vierzehn habe ich angefangen, im Shop-Rite zu arbeiten. Jedenfalls in diesem letzten Jahr haben mehrere Jungen in meiner Hütte das getan. Sechs oder sieben, aber ich war zu schüchtern, dabei mitzumachen.
    Zu schüchtern, oder hat es dich abgestoßen?
    Ein wenig von beidem, nehme ich an. Mir war der Anblick eines männlichen Körpers immer irgendwie unangenehm.
    Dein eigener doch hoffentlich nicht.
    Ich rede von anderen Männern. Es verlangt mich weder danach, sie anzufassen, noch sie nackt zu sehen. Ehrlich gesagt habe ich mich oft gefragt, was Frauen an Männern so anziehend finden. Wenn ich eine Frau wäre, wäre ich wahrscheinlich lesbisch.
    Gwyn lächelt über diese absurde Bemerkung. Das denkst du, weil du ein Mann bist, sagt sie.
    Und was ist mit dir? Hast du dich schon mal zu einem anderen Mädchen hingezogen gefühlt?
    Aber sicher. Mädchen verknallen sich ständig ineinander. Das gehört ganz einfach dazu.
    Ich meine das sexuell. Hast du je den Wunsch gehabt, mit einem Mädchen zu schlafen?
    Ich habe gerade vier Jahre an einem reinen Mädchen-College hinter mir. Schon vergessen? In einer so klaustrophobischen Atmosphäre muss das einfach passieren.
    Wirklich?
    Ja, wirklich.
    Das hast du mir nie erzählt.
    Du hast mich nie danach gefragt.
    Musste ich das? Was ist mit unserem Abkommen von neunzehnhunderteinundsechzig, dass wir keine Geheimnisse voreinander haben wollen?
    Das ist kein Geheimnis. Für ein Geheimnis ist es viel zu trivial. Um das mal festzuhalten - nur damit du keinen falschen Eindruck bekommst - es ist genau zweimal passiert. Beim ersten Mal war ich bekifft. Beim zweiten Mal war ich betrunken.
    Und?
    Sex ist Sex, Adam, und jeder Sex ist gut, solange beide Beteiligten es wollen. Körper lassen sich gern streicheln und küssen, und wenn man die Augen zumacht, spielt es kaum eine Rolle, wer einen streichelt und küsst.
    Was das Grundsätzliche angeht, stimme ich dir hundertprozentig zu. Ich möchte nur wissen, ob es dir Spaß gemacht hat, und wenn es dir Spaß gemacht hat, warum du es nicht öfter getan hast.
    Ja, es hat mir Spaß gemacht. Aber nicht so sehr, nicht so, wie Sex mit Männern mir Spaß macht. Im Gegensatz zu dir bin ich ganz vernarrt in männliche Körper, und vor allem mag ich dieses Ding, das sie haben und weibliche Körper nicht. Mit einem Mädchen ist es schon recht nett, aber kein Vergleich zu dem guten altmodischen zweigeschlechtlichen Bettgetümmel.
    Man kriegt weniger für sein Geld.
    Genau. Zweite Liga.
    Buschliga, könnte man sagen.
    Gwyn unterdrückt ein Lachen, bewirft dich mit ihrer Zigarettenpackung und schreit in gespieltem Zorn: Du bist unmöglich!
    Und genau das bist du: unmöglich. Kaum schleudert deine Schwester dir dieses Wort entgegen, bereust du deinen ebenso schmutzigen wie lahmen Scherz, und noch den ganzen Abend und weit in den nächsten Tag hinein klebt das Wort an dir wie ein Fluch, wie eine erbarmungslose Verurteilung dessen, was und wer du bist. Ja, du bist unmöglich. Du und dein Leben sind unmöglich, und du fragst dich, wie es dir bloß gelungen ist, dich in diese Sackgasse der Verzweiflung und Selbstverachtung zu manövrieren. Trägt Born allein die Schuld an dem, was mit dir geschehen ist? Kann die Tatsache, dass du ein einziges Mal kurz den Mut verloren hast, deinen Glauben an dich so beschädigt haben, dass du kein Vertrauen mehr in deine Zukunft hast? Noch vor wenigen Monaten wolltest du mit deinem Genie die Welt erobern, und jetzt bist du in deinen Augen ein Dummkopf und Trottel, eine schwachsinnige Masturbationsmaschine, gefangen in der Stickluft eines verhassten Jobs, eine Null. Wäre Gwyn nicht bei dir, kämst du vielleicht auf die

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