Unsortiertes
Holzes
überprüfen lassen.“ Er zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck. „Das
Holz ist und bleibt angegriffen. Die Tasse könnte – auch bei normaler Belastung
– an einer Ecke absacken und was dann mit den Leitungen passiert? Es könnte
wieder durch die Decke tropfen.“
Die Aussichten hörten sicher nicht besonders an. Der grau melierte
Blaumannträger erzählte noch ein paar Anekdoten, ehe er durch Viktor in seinem
Redefluss gestört wurde. Der meldete Vollzug und wartete wohl auf die Abnahme
seines Werkes. Der alte Mann tat seinem jungen Kollegen den Gefallen und dann,
nach bestandenem Dichtigkeitstest der Tasse, machten sich die zwei Handwerker
auf, meine Wohnung zu verlassen. Die Verabschiedung mit dem Altgesellen war
eher förmlich, Viktor raunte mir ein: „Bis die Tage!“ zu.
Ich informierte meinen Vermieter über die erfolgte Reparatur und die
Aussagen des Altgesellen, aber Werner Keimburg winkte nur ab. Er würde sich
selbst vom Zustand der Bodendielen überzeugen, der Schreiner kannte sich ja
schließlich mit Holz aus. In der Woche vor meinem Geburtstag verschloss er
endlich die noch immer klaffende Lücke in meiner Duschumrandung.
Viktor besuchte mich tatsächlich zwei Tage später. Wir saßen im
Wohnzimmer und unterhielten uns bei einem Bier über Gott und die Welt. Gut, ich
gebe es zu, ich legte meinen Arm um seine Schultern, aber nur prophylaktisch:
Der Azubi brauchte dringend eine Schulter zum Anlehnen.
Ich erfuhr so einiges von meinem jugendlichen Gast: Er stammte aus
einer Patchwork-Familie, seinen eigentlichen Erzeuger hatte er im Alter von
drei Jahren bei einem Autounfall verloren. Als er in die Grundschule kam,
lernte seine Mutter, die ehrenamtlich für die Caritas in einem Übergangsheim
für Aussiedler arbeitete, dort ihren „Neuen“ kennen, den er immer nur als „Typ“
bezeichnete. Seinen Namen erfuhr ich nicht, aber ich fragte auch nicht nach.
Einen Draht zu seinem Stiefvater hatte er nie gefunden, der Typ hatte
sich auch nie darum bemüht, ein vertrauensvolles Verhältnis zu dem Kind
aufzubauen. Der kleine Viktor kam sich ungeliebt, unverstanden und verloren
vor. Dieses Gefühl steigerte sich noch mit der Geburt seiner beiden
Geschwister, er war nur noch das Anhängsel seiner Mutter. Da aber der neue Mann
das komplette soziale Umfeld der Familie ziemlich stark prägte, wollten Freunde
und Bekannte der ursprünglichen Familie nichts mehr mit Mutter und Sohn zu tun
haben. Auch Kontakte zu Freunden und Mitschülern waren begrenzt, Viktor wurde
durch seinen Stiefvater zum Ausgestoßenen, zum Einzelgänger.
Die Frage ist eigentlich obsolet, bereits bei seinem ersten Besuch hat
er sich mir gegenüber komplett geoutet. Im Laufe der Zeit lernten wir uns immer
besser kennen und ich hatte echt einen Narren an dem Azubi gefressen. Zwar
hatte ich tieferen Gefühlen eine Abfuhr erteilt, der Altersunterschied war mir
einfach zu groß, aber ich gefiel mir in der Rolle des Mentors und väterlichen
Ratgebers.
Während der nächsten Wochen waren wir samstags immer unterwegs, ich
wurde wieder zum Discogänger. Zwar fühlte ich mich in den heutigen Musiktempeln
erst etwas unwohl, aber er machte mich wieder jung. Ein paar Dinge fielen mir
aber doch auf: Nach dem zweiten oder dritten Besuch in den musikalischen
Berieselungsanlagen hatte ich mehr Spaß an den gemeinsamen Ausflügen ins
schwule Nachtleben des Ruhrgebiets als er und meine Gesprächspartner an der
Theke waren meistens jünger als die Typen, mit denen er sich unterhielt.
Nach Halloween kam es zu einer Änderung des samstäglichen Programms:
Nach unsern Ausflügen setzte ich Viktor nicht mehr in der elterlichen Siedlung
ab, er nächtigte bei mir. Sein Stiefvater hätte sich, wie er mir sagte, die
frühmorgendlichen Störungen beim Heimkommen verbeten. Er sollte dann doch
lieber erst zum Mittagessen wieder auf der familiären Bildfläche auftauchen.
Der Typ schien wirklich ziemlich merkwürdig zu sein, aber eigentlich musste ich
ihm dankbar sein: Trieb er mir dadurch doch seinen Ziehsohn doch in die Arme
respektive in mein Bett. Allerdings gab es keinen wilden, animalischen Sex, es
gab nur Streicheleinheiten, Küsse und gegenseitige Liebkosungen.
Am ersten Freitag im Dezember stand Viktor, beladen mit einer großen
Sporttasche, vor meiner Tür. Ich war etwas überrascht, wir waren erst für
Samstag verabredet und die Wechselwäsche, die er normalerweise mitbrachte,
passte in eine
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