Unsterbliches Verlangen
sich ihm seltsam nahe fühlte. Obschon ihn nur noch eine schwache Note von Dreux umgab, war sie doch da - schwach genug, dass Chapel sie nicht erkennen konnte, und trotzdem ausreichend, um etwas in ihm anzusprechen.
Dreux hatte seinen Sohn nie kennengelernt. Er wurde geboren, nachdem Dreux zum Vampir geworden war. Und Dreux, der mitangesehen hatte, wie furchtbar es war, als Chapel zu Marie zurückkehrte, wollte seine Frau lieber glauben lassen, dass er tot war.
Hätte Dreux sich nicht umgebracht, könnte er heute diesen jungen Mann kennenlernen. War die Familie denn kein Grund weiterzuexistieren?
Nein, nicht für Dreux.
Chapel wurde bewusst, dass er zu lange schwieg. Er räusperte sich. »Jagen Sie deshalb dem Gral nach - weil Ihr Vorfahre es tat?«
»Nein.« Marcus sah kurz zu ihm, bevor er wieder nach vorn blickte. »Well ich glaube, dass er ihn gefunden hat oder zumindest das, was er für den Heiligen Gral hielt.«
Chapel wurde zunehmend unbehaglicher. »Was meinen Sie damit?«
»Meinen Quellen zufolge ist man sich nicht einig, was genau Beauvrai und seine Gefährten bei ihren Plünderungen der Templerburg entdeckten.« Wieder sah Marcus kurz zu ihm, als hoffte er, dass Chapel etwas hinzuzufügen hätte, doch dieser blieb stumm. »Einige Forscher glauben, dass es der Heilige Gral war, andere denken, es war ein Artefakt der dunklen Macht.«
O Gott! Chapel umklammerte die Kante der Sitzbank so fest, dass das Holz unter den Polstern knarrte. »Ist es das, was Sie zu finden hoffen, dieses dunkle Objekt?«
»Mir ist es eher gleich, was ich finde. Aber um Prus willen hoffe ich, den Heiligen Gral zu finden. Im Grunde suche ich in diesem Keller nach einem ganz anderen Schatz.«
Dass er nicht gesagt hatte, er wollte den Blutgral finden, rettete Grey in diesem Moment das Leben. Nicht dass Chapel es gern täte, aber wenn er musste, würde er töten, um zu verhindern, dass der Gral in falsche Hände geriet deshalb war er hier. Und wäre er gezwungen, einen Verwandten von Dreux umzubringen, dann würde er es.
»Und welchen Schatz erhoffen Sie sich?«, fragte er vollkommen ruhig. Nichts an seinem Ton verriet die Panik, die ihn erfüllte.
»Ich glaube, in dem Keller könnte ich etwas finden, das mir erklärt, was wirklich mit Dreux Beauvrai und seinen Gefährten geschah.«
»Das klingt, als würden Sie irgendein großes Geheimnis vermuten. Sie sind alle kurz nach der Templerplünderung gestorben.« Leider wurde sein Ton nun doch schärfer, als er beabsichtigte.
Grey schüttelte den Kopf. »Nein, es gibt Hinweise, dass sie nicht gestorben sind. Ich habe Dokumente - schriftliche Berichte , dass Beauvrai nach seinem vermeintlichen Tod lebend gesehen wurde. In meiner Familie geht sogar die Geschichte um, dass er zur Beerdigung seines Erstgeborenen kam und dort von seiner Witwe gesehen wurde. Angeblich fiel sie ihn Ohnmacht, als sie ihn sah.«
Ja, sie wurde ohnmächtig. Bei Gott, das wurde sie! Aber woher wusste Grey davon? »Ich bitte Sie, Mr. Grey«, sagte er und rang sich ein Lachen ab. »Was für Märchen! Sind Sie sicher, dass Sie nicht mit Bram Stoker verwandt sind?«
»Sie glauben an etwas Phantastisches wie den Heiligen Gral, aber nicht an Vampire, Mr. Chapel? Ich hätte Sie für einen Mann gehalten, der allem gegenüber offen ist, was wir nicht beweisen können.«
Vampire. Grey hatte es tatsächlich laut ausgesprochen.
»Ich bin sehr viel gereist, Mr. Grey. Ich habe vieles gesehen, bin jedoch nie auf einen Beweis gestoßen, der die Existenz von Dracula oder seinesgleichen belegte.« Das war nicht gelogen. Er hatte keine Beweise gesehen. Er war der Beweis.
»Was wissen Sie über Severian de Foncé?«
Chapels Magen krampfte sich zusammen. »Er war einer von Beauvrais Gefährten.«
»Es gibt Erzählungen, nach denen er ebenfalls ein Vampir wurde. Er soll seine eigene Verlobte getötet haben.«
Chapel schloss die Augen, weil der Schmerz darin unübersehbar wäre, und versuchte, stark zu sein. Er würde nicht an Marie denken. Nein, das würde er nicht.
»De Foncé ist tot«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich habe sein Grab selbst gesehen.«
»Ja«, entgegnete Grey, »ich dachte mir, dass Sie das haben.«
Was zum Teufel ...? Chapel starrte ihn an.
Wieder sah Grey nur kurz zu ihm. »Ich meine, Sie sind schließlich Historiker.«
Das war es nicht, was Grey gemeint hatte. Aber wie dem auch sei, Marcus Grey konnte ihm nicht gefährlich werden - nicht physisch. Vielleicht war es an der Zeit,
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