Unter allen Beeten ist Ruh
Brüder aufzupassen.«
Pippa fuhr herum und warf ihm einen wütenden Blick zu. Mist, dachte sie ärgerlich, dass ich ausgerechnet die Massenbefragung verpassen muss!
»Deshalb ist ja auch was aus dir geworden, Freddy«, stichelte sie zurück.
Damit stieß sie das Gartentor auf und ging zu den Kindern, während die Karawane zu Luis’ Inselkantine weiterzog.
Am Anleger machte ein Boot der Wasserschutzpolizei fest, und einige von Freddys Kollegen marschierten über den Steg und meldeten sich bei Schmidt für weitere Anweisungen.
Pippa sah ihren Freunden besorgt nach.
»Na warte, Freddy, das wirst du mir büßen. Du wolltest mich nur aus der Gefahrenzone schaffen«, murmelte sie.
»Was hast du gesagt, Tante Pippa?«, fragte Emil interessiert. »Und warum sind denn so viele Polizisten hier?«
»Immer macht ihr alles Schöne ohne uns«, maulte Anton und setzte sich auf die Bank, die rund um den Kastanienbaum lief. »Dann mache ich hier auch nicht weiter. Ich streike!«
»Wir streiken, wir streiken!«, riefen Lotte und Luise. »Das hat Papa letztes Jahr auch gemacht, und da war er ganz viel zu Hause und hat uns vorgelesen.«
»Gut, dann lese ich euch jetzt auch etwas vor. Emil, hol deine Detektive.«
Pippa hoffte, die Kinder vom Thema ›Polizei‹ ablenken zu können und versammelte die Knirpse um sich.
Als Emil zurückkam, zog er einen Zeitungsausschnitt, der als Lesezeichen gedient hatte, aus dem Buch und gab es aufgeschlagen an Pippa weiter. Als sie einen Blick auf den Ausriss warf, runzelte sie die Stirn.
»Darf ich mal sehen, Emil?«
Pippa nahm den Ausschnitt in Empfang und staunte: Da wurden Investoren gesucht, die bei einem einmaligen Projekt auf einer zauberhaften Havelinsel gute Renditen erzielen wollten. Neben vielen Lobpreisungen und einem Interview mit Annette Julius, der begeisterten Architektin des Projektes, war ein Grundriss von Schreberwerder zu sehen.
Der Lageplan enthielt zwar noch alle Häuschen, aber in modernisierter und veränderter Form. Die Architektin hatte jedem Haus einen pompösen Namen gegeben, der verdeutlichen sollte, welch exklusives Ambiente den zukünftigen Gast dort erwartete. Viktors Parzelle 1 hatte sich in ›Sylter Luxus‹ verwandelt und Karins Schrebergarten in ›Kitzbüheler Bergkristall‹. Parzelle 3 entpuppte sich, inspiriert durch Herrn X, als ›Worpsweder Künstlerklause – mit Echtheitszertifikat‹ – und Dorabellas Grundstück war plötzlich der ›Marbella Powertempel‹.
Pippa schauderte es bei dieser perfiden Anspielung auf die schwere Krankheit der früheren Bewohnerin. Lutz schreckte wirklich vor nichts zurück. Konnte das als Hinweis auf weitere, noch schlimmere Skrupellosigkeiten gewertet werden?
Parzelle 5 war in einem intellektuellen Geniestreich in einen mexikanischen Nobelort verlegt worden und hieß ›Acapulco Villa‹.
Pippa stöhnte. Hatte der Idiot an Pancho Villa gedacht und das für ein Haus gehalten?
»Was liest du denn da, Tante Pippa?«, fragte Emil interessiert.
»Ein Gruselmärchen«, antwortete Pippa ebenso spontan wie unvorsichtig.
»Vorlesen! Vorlesen!«, riefen die Zwillingsschwestern prompt.
Pippa schüttelte den Kopf.
»Nein, wir lesen euer Buch weiter. Aber bevor ich anfange, holt euch erst mal Fassbrause aus der Küche.«
Die Kinder stürmten begeistert ins Haus und gaben Pippa die Zeit, sich Angelikas Parzelle als den ›Portofino Segler‹ vorzustellen und Kästners Grundstück Nummer 7 als ›Traum von Malibu‹. Peschmanns 8 hatte – Vive la France – den bombastischen Namen ›St. Tropez Chalet‹ erhalten. Weiter im Uhrzeigersinn um die beinahe wie eine Niere geformte Insel folgte Erdmanns Riesenparzelle mit einem schneeweißen, protzigen Hotel, das peinlich an ein Herrenhaus aus Vom Winde verweht erinnerte. Von dort gab es einen überdachten Wandelgang mit Kolonnaden, der zu Luis’ Häuschen führte. Dessen kleines Refugium war allerdings nicht wiederzuerkennen, da es sich in einen Wintergarten verwandelt hatte, der dem geneigten Leser als ›Hanf Relax Lounge‹ angepriesen wurde.
Die Dorfstraße, die zwischen den Parzellen entlangführte, hieß folgerichtig ›Croisette‹ und endete nicht mehr im Heckenlabyrinth, sondern im ›Love Nest‹.
Pippa musste wider Willen lachen und dachte an Lisa und Daniel. Immerhin, dieser eine Name passte schon heute.
Pippa kam nicht dazu, sich weiter mit den Anpreisungen von Erdmann & Partner zu beschäftigen, denn jetzt saßen die Kinder wieder neben ihr und
Weitere Kostenlose Bücher