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Unter deinem Stern

Unter deinem Stern

Titel: Unter deinem Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Connelly
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Tag im Hotel herumsitzen, wenn es hier so schöne Sachen zu sehen gibt?«, fragte Jalisa, als sie Claudies vor Staunen geweitete Augen sah.
    »Wahrscheinlich nicht«, murmelte Claudie.
    »Heiliger Himmel!«, rief Bert. »Seht euch mal das Gesicht von diesem Wasserspeier an. Der sieht genauso aus wie Mr Woo!«
    Lily und Mary kicherten.
    »Du alter Stinkstiefel!«, knurrte Mr Woo.
    Die Stadt breitete sich in Beige- und Grautönen unter ihnen aus. Die Seine glitzerte im Sonnenlicht, und am Horizont erhob sich stolz der Eiffelturm.
    »Gott, ist das romantisch hier«, seufzte Jalisa. »Hast du ein Glück, Claudie, dass du mit einem so attraktiven –«
    »Halt die Klappe!«, zischte Claudie.
    »Ich wollte nur sagen, dass du mit so einem netten Mann wie Simon hier bist.«
    Claudie schaute zu, wie Jalisa ein paar Tanzschritte auf der Brüstung ausprobierte.
    »Jalisa, hör auf damit. Mir wird ja schon vom Hinsehen ganz schwindelig.«
    Der Engel blieb abrupt stehen und machte ein beleidigtes Gesicht.
    »Alles okay?«, fragte Claudie, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Simon die Aussicht genoss und von ihrem Privatgespräch nichts mitbekam. Jalisa hatte ihren typischen, in die Ferne gerichteten Blick aufgesetzt, der Claudie schon viel besser gefiel.
    »Ja, ja, ist schon gut«, sagte Jalisa und stieß einen tiefen Seufzer aus.
    »Was ist denn los?«, fragte Claudie, während Simon auf der anderen Seite ein paar Fotos machte.
    »Ich werde einfach ganz wehmütig, wenn ich all die verliebten Paare sehe.«
    Plötzlich empfand Claudie große Zuneigung zu Jalisa. Sie wusste, dass sie den Engeln gegenüber manchmal ein bisschen schroff war, doch sie wollte ihnen so gern nah sein und ihnen zuhören, wenn sie sie brauchten, so, wie die fünf auch immer für sie da waren.
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte sie. »Mir geht es genauso wie dir. Aber ich hätte nie gedacht, dass es dich auch traurig machen könnte. Fühlst du dich an jemand Bestimmtes erinnert?«
    »Ja, an Robbie.«
    »Robbie? Ist das der, von dem du mir schon mal erzählt hast?«
    Jalisa nickte. »Ich habe ihn seit Ewigkeiten nicht gesehen. Kaum komme ich von einem Auftrag zurück, ist er schon wieder unterwegs und umgekehrt. Es ist schrecklich.«
    Claudie runzelte die Stirn und fragte sich, was in aller Welt sie einem verliebten Engel sagen sollte. »Solche Dinge brauchen wohl ihre Zeit, nicht wahr?«
    »Ja«, erwiderte Jalisa traurig.
    »Schließlich will man nichts überstürzen.«
    Jalisa schaute sie an. »Von wem sprechen wir hier eigentlich? Von dir oder von mir?«
    »Von dir natürlich!«
    »Klar«, sagte Jalisa grinsend.
     
    Anstatt Notre-Dame von innen zu besichtigen, fuhren sie zum Montmartre hinauf und spazierten durch die von Bäumen gesäumten Straßen. Das zarte Frühlingslaub wirkte wie ein Symbol der Hoffnung auf das kommende Jahr.
    Sie schauten den zahllosen Künstlern zu, die mit Öl- und Aquarellfarben oder mit Kohlestiften Touristen porträtierten und karikierten. An einer Imbissbude stellten sie sich in die Warteschlange und bestellten sich frische Crêpes, sahen zu, wie der Teig auf der heißen Platte verteilt, dann mit Schokoladensoße bestrichen und schließlich zusammengerollt wurde. Die Crêpes in eine Serviette gewickelt, schlenderten sie essend über das Kopfsteinpflaster und machten einen Bogen um die Künstler, die unbedingt ein Porträt von ihnen anfertigen wollten.
    »Lass dich doch ruhig malen«, sagte Simon zu Claudie.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, sagte sie mit einer abwehrenden Handbewegung. »Ich weiß auch so, wie ich aussehe.«
    Claudie konnte es schon nicht ausstehen, fotografiert zu werden, ganz zu schweigen davon, sich von einem Maler porträtieren zu lassen. Einzig an ihrer Hochzeit hatte sie es geschafft, sich halbwegs zu entspannen, als der Fotograf die Kamera aufgestellt hatte. Luke hatte das nie verstanden.
    »Wie kann eine so schöne Frau nur so schüchtern sein?«, hatte er einmal auf dem Striding Edge im Lake District gesagt, eine Einwegkamera in der Hand. Er und seine Kamera. Er hatte immer alles festhalten wollen. Claudie war nie an den Bildern interessiert gewesen, aber seit seinem Tod hütete sie sämtliche Fotos, die Luke je gemacht hatte, wie einen Schatz. Sie musste daran denken, wie sie sich die Fotos nach der Beerdigung angesehen hatte. Das waren Lukes Eindrücke der Welt, seine besonderen Augenblicke – für immer festgehalten.
    Aber Claudie hatte ihren Fotoapparat mit nach Paris gebracht.

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