Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
würden. Frustriert holte Anna tief Luft. »Für was ausgesucht? Was soll das heißen, Richard? Ich brauche niemanden, der mich führt!« Sie rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.
»Vertrauen, Anna. Man nennt das Vertrauen. Folge dem Phönix und du wirst verstehen. Wenn du dazu bereit bist, wird er in der Passage an deiner Seite sein.«
Langsam wurde sie wütend. Kopfschüttelnd betrachtete sie Richard mit verschränkten Armen, als Nico atemlos ins Zimmer stürmte, gefolgt von Oskar und, zu Annas Überraschung, Naomi und Edmund. Jetzt wurde es interessant. Wahrscheinlich würde Bridget Naomis Freund höchstpersönlich an die Luft setzen. Doch nichts dergleichen geschah. Bridget ergriff Edmunds Hand und strich ihrem jüngsten Sohn sanft über den blonden Schopf.
»Danke Nico, das ging wirklich schnell. Gut, dass ihr hier seid. Herzlich willkommen, Edmund.«
Anna staunte. Was denn? Kein Donnerwetter oder wenigstens ein kurzes Wortgefecht? Bislang wagte niemand, auch nur Edmunds Namen in diesem Haus zu erwähnen.
»Nun, Anna, da wir vollständig versammelt sind, erkläre ich dir gern, was es mit der Feder auf sich hat.« Richard räusperte sich. »Wo soll ich am besten beginnen?«
Anna klopfte bereits mit den Fingern der gesunden linken Hand auf den Tisch. Alexanders Mundwinkel zuckten nach oben. Auch Richard war Annas Ungeduld nicht entgangen und er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»Um deine unerschöpfliche Geduld nicht allzu sehr auf die Probe zu stellen, werde ich mich auf das Wesentliche konzentrieren.«
Na, Gott sei Dank.
»Ich nehme an, dass du schon von der Silberblüte gehört hast.«
Anna schaute verstohlen zu Bridget hinüber. Ja, hatte sie. Sie nickte flüchtig.
»Dann weißt du auch, dass keine andere Heilpflanze mehr Kraft besitzt als diese besondere Blüte.«
»Und?«
»Nur die Phönixfeder hat mehr Kraft.«
Okay, nun kam er zur Sache. Das rhythmische Fingerklopfen hörte auf.
»Und?«, musste sie dennoch erneut fragen.
Richard studierte ihr Gesicht aufmerksam und nahm den Faden schließlich wieder auf.
»Die Feder hat heilende, magische Kräfte. Mit ihr kann man beinahe jede Verletzung heilen.«
Anna riss die Augen auf. Ja, natürlich, das sollte sie glauben?
»Sie heilt keine Krankheiten wie Husten oder Schnupfen, lediglich Verletzungen, die durch magische Kreaturen oder Pflanzen verursacht wurden. Sie wirkt auch nicht für unbegrenzte Zeit. Jedes Mal, wenn man sie einsetzt, verliert sie etwas von ihrer Kraft, bei schweren Verletzungen natürlich mehr als bei kleinen Kratzern.«
Das wurde ja immer schöner. Annas Finger setzten das Trommelkonzert auf der Tischplatte fort. Richard übersah ihren Zweifel ebenso wie ihre Ungeduld.
»Jedes Mal, wenn die Feder … hm … benutzt wird, zerfällt ein Teil von ihr zu Asche. Irgendwann ist sie dann sozusagen aufgebraucht.«
Als hätte sie nur auf das Stichwort gewartet, stand Bridget plötzlich hinter ihrem Mann und legte die leuchtende Feder vor ihm auf den Tisch. Fasziniert betrachtete Anna das Kleinod. Schmal und etwa zwanzig Zentimeter lang, von einer beinahe übernatürlichen Röte. Blutrot. Vorsichtig schob sie ihre linke Hand über den Tisch. Bridget hatte gesagt, die Feder wäre nicht mehr heiß. Sie streckte den linken Zeigefinger aus und legte ihn auf die Spitze. Bridget hatte recht. Sie war nicht mehr heiß, doch kaum hatte ihr Finger den feuerroten Flaum berührt, spürte sie ein unangenehmes Brennen. In ihrer rechten Hand! Der stechende Schmerz der Brandwunde, den sie dank Noahs Salben beinahe vergessen hatte, flammte erneut auf. Erschrocken zog sie den Finger zurück und der Schmerz verschwand so schnell, wie er gekommen war. Ihr wurde schwindlig und sie lehnte sich rasch zurück. Es war ungewöhnlich still im Zimmer geworden und Anna stellte fest, dass alle Augen auf sie gerichtet waren.
»Was … was war das denn?«
Verstohlen betrachtete Anna die Feder. Schließlich war es wieder Richard, der das Wort ergriff.
»Der Phönix hat, aus welchem Grund auch immer, dich als Federträgerin ausgesucht. Nur du allein kannst die Magie der Feder bewirken und spüren. Wenn ich ehrlich bin, ich beneide dich wirklich nicht, Anna. Ich weiß, meine wunderbare Frau …«, er drehte sich mit einem liebevollen Lächeln zu Bridget um, die immer noch hinter ihm stand und ihre Hände auf seinen schmalen Schultern ruhen ließ, »… Bridget würde höchstwahrscheinlich ihre linke und vielleicht auch rechte Hand hergeben,
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