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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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anbot, ihr Zimmer zu räumen und ebenfalls in eines der für Gäste vorgesehenen zu ziehen – es sei ja nur vorübergehend; schließlich verließe sie das elterliche Haus ohnehin im Spätsommer.
    Wochenlang herrschte großes Packen und Räumen, roch es nach frischer Farbe und neuen Stoffen, bis Angelina sich neu eingerichtet hatte und der Raum am Ende des Flures bereit war für die Ankunft des neuen Erdenbürgers.
    Da die heutigen Modelle an Kinderwagen ungleich raffinierter waren als derjenige, in dem die Greenwood-Kinder durch die Straßen Oxfords geschoben worden waren – ein simples, mehr praktisch denn modisch zu nennendes Gefährt, wie eine mit Griffen versehene Wanne auf Rädern –, wurde ebenfalls ein neuer gekauft und nach Black Hall geliefert. Die Nadeln klapperten um die Wette, als die Schwägerinnen Schühchen und Mützchen und winzige Fäustlinge zu stricken begannen und darin konkurrierten, besonders aufwändige Spitzen zu häkeln. Unstimmigkeiten gab es nur in solchen Fragen, ob Maya besser viel oder wenig Spinat zu sich nehmen sollte, ihren Teekonsum einzuschränken hatte und statt rotem besser weißes Fleisch äße – wobei Martha natürlich in letzter Konsequenz immer die Trumpfkarte ausspielte, selbst schon Kinder zur Welt gebracht und insgesamt drei großgezogen zu haben. Was Tante Elizabeth immer mit einer Miene zur Kenntnis nahm, die eines Napoleon Bonaparte nach der Schlacht von Waterloo würdig gewesen wäre, letztlich aber nachgab.
    Nur in einer grundsätzlichen Frage herrschte zwischen Martha Greenwood und Elizabeth Hughes nicht zu versöhnende Uneinigkeit: ob der Familienzuwachs nun ein Junge oder ein Mädchen würde. Mayas Mutter beharrte auf einem Enkelsohn, während die Tante keinen Zweifel daran ließ, dass ihre Nichte ein ähnliches »Prachtmädel«, wie sie es nannte, zur Welt bringen würde, wie Maya selbst es war. Stundenlang konnten sie hitzige Debatten darüber führen, inwieweit Mayas Gang, ihre Essensvorlieben und ihr Teint Rückschlüsse auf das Geschlecht des Kindes erlaubten. Und weil keine von beiden bereit war, auch nur die jeweils andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen, strickten sie neben vielen weißen Sachen beharrlich mit rosafarbenem beziehungsweise hellblauem Garn, stickte Martha verbissen Entenküken und blaue Glockenblumen in Windeltücher, Tante Elizabeth Röschen und Schleifen.
    Was in Gerald vorgehen mochte, war hingegen schwer zu beurteilen. Stumm war er geblieben, als Maya bekannt gegeben hatte, dass eine neue Generation in ihr heranwuchs, hatte sich verstohlen sein Taschentuch vor die Augen gedrückt, während Maya die von freudigen Ausrufen begleiteten Umarmungen und Wangenküsse Angelinas und Marthas über sich ergehen ließ. Er blieb seiner Tochter in steter Zuneigung verbunden, wirkte keineswegs unglücklich über das zu erwartende Enkelkind, im Gegenteil – und doch schien es Maya, als zöge er sich weitaus häufiger und länger in sein Arbeitszimmer zurück als bislang. Manchmal bemerkte sie, wie sein Blick nachdenklich auf ihr und ihrem rasch wachsenden Leibesumfang ruhte, und Maya meinte, Angst darin zu sehen. Ob es der Gedanke war, bald Großvater zu sein, oder das Wissen, dass sie niemals mehr sein kleines Mädchen sein würde, konnte sie nicht ergründen. Es bedrückte sie; doch sie hoffte, er würde sich, spätestens sobald das Baby da war, mit den neuen Gegebenheiten zurechtfinden.
    Für Maya brachen herrliche Monate an, während das Kind in ihr heranwuchs und sie von allen Seiten – Hazel, Rose und Jacob eingeschlossen – aufopferungsvoll umsorgt und behütet wurde. Sie genoss die zunehmende Schwere ihres Körpers, die ihr das Gefühl gab, tief im Boden Wurzeln zu schlagen, und durch die eine bislang unbekannte Stärke in ihr emporstieg. Oft lauschte sie in sich hinein, als könnte sie so den Herzschlag ihres Kindes hören, lachte unvermittelt auf, wenn sie es sich regen fühlte, eine seiner Bewegungen sie in der Leiste kitzelte, oder schnappte nach Luft, weil es in ihren Magen trat, in die Blase oder gegen die Rippen boxte. Das Schönste war jedoch, dass Black Hall wieder lebendig wirkte – wie ein toter Baum, der unvermittelt wieder frisch austrieb. Obwohl es draußen noch Winter war.
    Zwei Jahre waren vergangen, seit Jonathan vor dem Weihnachtsfest Ralph mit ins Haus gebracht hatte. Ein Jahr, seit sie in Aden unglücklich gewesen war und Jonathan vor Sebastopol den Tod gefunden hatte. Wenn ihr Umweg über die Ehe mit Ralph und jene

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