Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
illegal eingereist. Komintern-Auftrag. War nach London geflüchtet. Stammt eigentlich aus Hamburg. Arbeitete für die Volkszeitung dort. Musste abhauen nach einem Mordanschlag auf einen Polizisten. Von der Stapo als gefährliche Attentäterin eingestuft.«
»Komintern-Auftrag.« Göring sang es geradezu vor sich hin, legte die Hände auf den Rücken und lief ein bisschen hin und her, tat, als würde er nachdenken. Wie zufällig blieb er direkt vor Klara stehen. »Was für ein Auftrag ist das?«, brüllte er ihr ins Gesicht.
Sie schwieg. Sein Speichel brannte auf ihrer Haut.
»Sammeln von Informationen in Sachen Reichstagsbrand. Entlastung kommunistischer Funktionäre. Soll den Bolschewisten Material liefern, um uns die Sache anzuhängen. Internationale Propaganda.«
»Ha!«, spuckte Göring. »Und was hast du herausgefunden?« »Ihr wart es selbst«, sagte Klara.
»Und? Haben wir Beweise, junge Frau?«
»Der unterirdische Gang. Selbstentzündliche Flüssigkeit. SA-Brandstiftertruppe.«
»Ha! Und was hat dieser schwachsinnige Holländer gemacht? Na? War der kein Kommunist? Hat der nicht mit Torgler und Dimitroff und diesen andern beiden bulgarischen Wichten gekungelt?«
»Nein, hat er nicht.«
»Da kann die Dame wohl nicht zwei und zwei zusammenzählen! Da habe ich drei bulgarische Kommunisten, die wegen Konspiration verhaftet wurden, und einen KPD-Abgeordneten, der sich freiwillig stellt, dazu einen holländischen Kommunisten … was ist das wohl?«
»Zwei und zwei sind vier, und das waren fünf.«
Blitzschnell holte Göring mit der Peitsche aus, stoppte dann aber in der Bewegung, wandte sich um und hielt Ernst das Ding hin. Der nahm die Peitsche kopfschüttelnd entgegen. Göring trat ans Fenster und schaute in die Nacht. Ernst nahm die Peitsche in die linke Hand, holte mit der rechten aus und schlug Klara ins Gesicht. Gleich noch mal mit der Rückhand. Klara spürte, wie Blut aus ihrer Nase lief. Ernst legte die Peitsche auf den Schreibtisch des Reichstagspräsidenten.
Göring drehte sich um und baute sich wieder vor ihr auf. »Vielleicht haben wir ja hier ein kommunistisches Flittchen, das in seiner ganzen Verdorbenheit auch gern mal zündeln wollte.« Er beugte sich zu ihr, sein Gesicht war dicht vor ihrem: »Dann sind es sechs Kommunisten!«
»Van der Lubbe ist kein Kommunist«, sagte Klara.
»Und ich bin der Kaiser von China!«
»Er hat nichts mit der Komintern zu tun, im Gegenteil.«
»So? Was ist er dann? Ein nackter Wilder, dem Prometheus einen Sonderauftrag erteilt hat, oder hat hier ein Vulcanus seine Hände im Spiel?«
»Sie wissen es doch. Sie haben ihn ja benutzt. Warum sonst hätten Sie Waschitzki umbringen lassen? Das war der Beweis.«
Göring wandte sich an Diels. »Was redet die da?«
Diels, eine Hand in der Hosentasche, zuckte nachlässig mit den Schultern, wie um zu sagen: kaum der Rede wert. Mit leichtem Stirnrunzeln, als würde er über die Kritik eines Theaterstücks sinnieren, sagte er: »Wir hatten einen gewissen Waschitzki auf den Holländer angesetzt, nachdem wir erfahren hatten, dass der zu Brandanschlägen neigt. Wir wussten, dass ihm ein Fanal vorschwebte. Es passte gut zuunserem Plan. Waschitzki sollte ihn diesbezüglich ermutigen.«
»Das ist ihm ja gelungen«, stellte Göring zufrieden fest.
»Wie man’s nimmt«, brummte Ernst. »Beinahe wäre wegen dem Holländer alles schiefgegangen. Er hat zu früh losgelegt. Und sich nicht entblödet, gleich in den Restaurant-Räumen zu zündeln. Genau da, wo man es sofort von außen sehen konnte. Noch ein bisschen früher, und die Feuerwehr hätte unsere Vorbereitungen im Plenarsaal entdeckt und ein Aufflammen verhindert. Es hing alles an wenigen Minuten.«
»Ich dachte, van der Lubbe hat das angezündet?«, wunderte sich Diels.
Ernst wehrte ab. »Der ist bloß mit einem Stück kokelndem Stoff da durch. Das hat nicht viel bewirkt. Dass es so schön gebrannt hat, liegt allein an unseren Vorbereitungen. Hans-Georgs großartiges Gemisch«, sagte er stolz und fügte grinsend hinzu: »Außerdem haben die Herren Abgeordneten selbst mitgeholfen.« Er grinste. »Unsere Männer haben die Abgeordnetenkarten benutzt. Sechshundert Kartonkarten im Großformat. Darauf stehen die Namen. Wenn einer spricht, wird die Karte in die Anzeigetafel eingesetzt, damit alle den Namen des jeweiligen Redners lesen können. Die Dinger lagen in einem Raum hinter dem Podium. Perfektes Brandmaterial. Mit der selbstentzündlichen Flüssigkeit und den
Weitere Kostenlose Bücher