Unter der Haut (German Edition)
zu übernehmen, der mit seinen elf Jahren den ganzen Tag auf der Farm zugebracht und alles so gut zu machen versucht hatte wie sein Vater. Jedenfalls bis er ebenfalls zur Schule zurückmusste. Old Smoke war nicht mehr bei uns, er war im hohen Alter wieder nach Njassaland gegangen.
In der Schule bekam ich eine infektiöse Bindehautentzündung. Es kann nur wenige Krankheiten geben, die so hässlich anzuschauen und so unangenehm sind und dennoch kaum Schaden anrichten. Viele von uns steckten sich an, und jede, die morgens mit zugeklebten, geschwollenen Augen aufwachte, wurde von den anderen gehänselt; wir versuchten, es mit Humor zu nehmen, und zogen uns in das Krankenzimmer zurück. Es war wirklich eine äußerst ansteckende Krankheit. Ich hatte Angst. Meine Augen waren dick vereitert, und ich sah mir hinter den Verbänden das Feuerwerk an, das zerrüttete Nerven anrichten: Sternenregen, Raketen, allerlei pyrotechnisches Blendwerk. Ich hatte solche Angst, und, ach, was hat Tigger für Witze gemacht.
Meine Mutter kam von der Farm und schleppte mich zu allen möglichen Spezialisten, die sagten, mit meinen Augen sei jetzt, da die Bindehautentzündung abgeklungen war, alles in Ordnung. Aber ich konnte nicht richtig sehen. Ich weigerte mich, in der Schule zu bleiben. Ich fuhr mit ihr nach Hause, und damit war das Ende meiner Schullaufbahn gekommen. Ich war eine Aussteigerin, viele Jahre bevor das Wort geprägt wurde.
Kapitel Neun
Mein vierzehntes Lebensjahr war ein kritisches Jahr, ein entscheidendes Jahr, ein Jahr, in dem es um alles oder nichts ging, denn ich kämpfte gegen meine Mutter um mein Leben. So sah ich es. So war es.
Der oberste Streitpunkt war die Kleidung, meine Kleidung. Ich hatte eine Cousine in England, die alles besaß, was meine Mutter sich für mich wünschte. Sie war auf einer guten Mädchenschule, und in den Briefen ihrer Mutter drehte sich alles um Geld und elegante Freunde.
Von ihr bekam ich Kleider in wunderhübschen Paketen. In viele Schichten Seidenpapier verpackte Kleider, die so exquisit waren wie die frühen Gewänder meiner Mutter, die wir längst zerschnitten hatten und mittlerweile nur noch zum Verkleiden benutzten. Ich erinnere mich an ein apfelgrünes Seidenkleid mit Rüschen und Puffärmeln. Meine Cousine war nicht nur einige Jahre jünger als ich, diese artigen Kleinemädchenkleider waren im Distrikt schlicht nicht zu tragen. Und wo sonst? Wie? Alle hätten sich totgelacht. Meine Mutter wandte sich wegen meiner Uneinsichtigkeit an Alice Larter, die sich wiederum ihretwegen Sorgen machte. Sie war taktvoll, versuchte mir beizustehen, lud mich zu sich ein – es nützte alles nichts. Ich wusste, was meine Mutter wollte, wenn sie mir keine Ruhe ließ und mir ständig diese artigen Kleinemädchenkleider vor die Nase hielt. »Probier es doch wenigstens einmal an!« Sie waren mir etliche Nummern zu klein. Sie ist verrückt, weinte ich heimlich. Und sie war wirklich ein wenig überdreht, damals. Wir stritten uns über das Essen. Ich war gerade zu der Einsicht gelangt, dass ich so dick war, weil ich zu viel aß. War ich dick? Nicht sehr, aber immerhin so, dass ich dem Namen Tigger jetzt Ehre machte. Ich bemühte mich, bei den Mahlzeiten nicht mehr so viel zu essen, während sie mit sorgenvollem Gesicht versuchte, mir den Teller vollzuhäufen. Dann plötzlich setzte sie es sich in den Kopf, dass ich nicht mehr allein in den Busch sollte. All die Jahre war ich ungehindert umhergestreift, manchmal viele Meilen von zu Hause entfernt, und hatte taktvoll für mich behalten, wie weit ich tatsächlich gegangen war, aber jetzt war es eine Frage des Prinzips, der Wahrheit, und wir stritten uns. »Wenn sie wirklich so gefährlich sind, warum hat mich denn noch nie einer überfallen?« »Ja, aber einmal ist immer das erste Mal.«
Verrückt, verrückt, einer wie der andere verrückt, pflegte ich laut vor mich hin zu schimpfen, stampfte mit dem Fuß auf und verließ das Haus.
Halbwüchsige Mädchen haben irgendetwas, das in ihren Eltern die wunderlichsten Verhaltensweisen hervorbringt. Nancy Mitford beschreibt, wie ihr Vater seinen Töchtern in den Ohren gelegen hat, dass sie sich vor Mädchenhändlern in Acht nehmen sollten. Ich vermute, es hat einen gewissen Sinn, wohlbehütete Mädchen in London vor den Gefahren der bösen Großstadt zu warnen. Aber womit ist es zu erklären, wenn ein Vater, der seit Stunden an seinem Schreibtisch sitzt und auf die Berge schaut, seine Tochter hereinruft, die
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