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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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die uns beflügelten? Es waren dieselben Ideen, wie sie die Kommunisten oder die den Kommunisten Nahestehenden überall auf der Welt hatten, nicht nur die übertriebenen Vorstellungen einer Gruppe von jungen Verrückten, die der Krieg in Afrika zusammengewürfelt hatte.
    Erstens glaubten wir daran, dass binnen zehn, na ja, vielleicht fünfzehn Jahren die ganze Welt kommunistisch sein würde, aus freien Stücken und wegen der augenscheinlichen Überlegenheit des Kommunismus. Es würde keine Rassenvorurteile mehr geben, keine Unterdrückung der Frauen, keine Ausbeutung von Arbeitskraft – keine Arroganz und keine Verachtung gegenüber anderen. Dieses Paradies würde auf eine kurze Phase des Widerstandes von Reaktionären – alles in allem nur eine Minderheit – folgen, denn bis dahin würde »der Staat sich überlebt haben«. Diese Phrase vom »Sichüberlebthaben des Staates« war zusammen mit den »inneren Widersprüchen des Kapitalismus« der weitaus häufigste Ansatzpunkt für die süffisanten Witze, mit denen die Genossen in aller Welt deutlich machten, dass sie doch noch zurechnungsfähig waren.
    Das Paradies für die Welt stand damals auf der Tagesordnung, und zwar rasch. Wer würde die Welt dorthin führen? Na, wir natürlich, Leute wie wir, Kommunisten, die Vorhut der Arbeiterklasse – die von der Geschichte für diese Rolle Auserwählten. Das war genau die gleiche fixe Idee wie bei meinen Eltern, die sich einbildeten, dass sie den Willen Gottes repräsentierten, der mithilfe des British Empire für das Wohl der Welt arbeitete. Oder wie bei den Verfassern der Atlantikcharta.
    Zweitens glaubten wir daran, dass es keinen anderen Weg zum Paradies geben konnte als den der Revolution. Wir verachteten alle, die nicht an die Revolution glaubten – das heißt mit ein paar Ausnahmen. (Wie oft versicherten wir uns gegenseitig im Brustton der Überzeugung, wie sie für Moralurteile typisch ist, dass der und der Reaktionär trotzdem
ein guter Mensch
sei.) Es zeugte von moralischer Überlegenheit, wenn man an die Revolution glaubte, und die, die das nicht taten, waren zumindest feige. Wir jedoch waren durch charakterliche Überlegenheit miteinander verbunden, weil wir zugleich Revolutionäre und gute Menschen waren. Unsere Gegner waren böse. Wer nicht an den Sozialismus glaubte, dem traute man auch keine guten Absichten zu: Auf diese Einstellung stößt man auch heute noch. Es ist ein befriedigendes Gefühl, an die moralische Unterlegenheit seiner Gegner zu glauben. Dass die Menschen, die in Südrhodesien die United Party oder in Großbritannien die Konservativen unterstützten, vielleicht glaubten, dass deren Politik das Beste für die Menschheit sei, gestand man ihnen einfach nicht zu. Dieser Drang, sich selbst für besser zu halten, ist so stark, dass mir noch 1992 , das heißt nach all dem, was Kommunisten an Ermordungen, Folterungen und vorsätzlichem Völkermord begangen hatten, eine Rote den Vorwurf machte: »Wie können Sie der Wahrheit den Rücken kehren?
Ich habe gedacht, Sie wären ein guter Mensch

    Drittens glaubten wir daran, dass wir Teil einer Familie waren, die sich über den ganzen Erdball verteilte. »Ein Kommunist kann in irgendeinem Land der Welt ankommen und sich sofort zu Hause fühlen, mit Menschen zusammen sein, die genauso denken und die gleichen Ideale haben wie er.« Ein verlockender Gedanke für alle, die sich ihren Familien entfremdet haben oder aus ihnen herausgerissen wurden – und das trifft heutzutage auf die allermeisten Menschen zu. Von einem moslemischen Freund habe ich genau das Gleiche gehört. »Ganz gleich, wohin ein Moslem auf der Welt geht, er kann überall sofort mit Leuten zusammen sein, die ganz genauso denken wie er: Vergiss nicht, dass der Koran das geistige und moralische Gerüst für jeden Moslem ist und dass die Geschichten und die geheiligten und historischen Figuren darin für den Scheich von Kuwait genauso verbindlich sind wie für den armen Arbeiter, der in Indonesien einen Graben aushebt.«
    Viertens glaubten wir daran, dass ein Kommunist immer besser sein sollte als alle anderen, dass er härter arbeiten, mehr lernen, sich um andere kümmern und immer bereit sein sollte, die Drecksarbeit zu machen, und zwar sowohl aus menschlicher Verantwortung heraus als auch, um Genossen für die Kommunistische Partei zu gewinnen, die gegenwärtig und in alle Zukunft die besten Eigenschaften der Menschheit verkörperte. Eine solche Vorstellung ist religiös. Im

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