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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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muss erst noch beantwortet werden. Die Leute sagen: Ich bin ausgetreten, als die Sowjetunion in Finnland einmarschiert ist … wegen des Hitler-Stalin-Pakts … wegen der Unterdrückung des Arbeiteraufstands in Berlin … wegen der Invasion in Ungarn … weil ich die Wahrheit über die Säuberungen und über die Kollektivierung erfahren habe. Aber trotzdem sind sie weiterhin dieser psychischen Gesetzmäßigkeit unterworfen – wie immer diese auch lautet.
    Weit einflussreicher als all diese teils klar umrissenen und offen diskutierten, teils eher unausgesprochenen Positionen war auf lange Sicht etwas sehr Überzeugendes, was sie alle verband, nämlich das mit der Oktoberrevolution von 1917 entstandene Gefühl, das sich bis heute gehalten hat – für die Sowjetunion als Ideal, als das große Vorbild. Im Westen hat eine Generation, haben zwei, drei Generationen sich eine Haltung gegenüber der Sowjetunion bewahrt, die offenbar die verschiedensten »Enthüllungen« übersteht. Zur gleichen Zeit, als Gorbatschow vor aller Welt den Bankrott der Sowjetunion, und zwar im direkten wie im moralischen Sinn, erklärte, demonstrierte vor einem Londoner Theater eine Gruppe junger Leute, weil das dort gespielte Stück »antisowjetisch« sei. Dabei waren die Aussagen des Stücks harmlos im Vergleich zu den Wahrheiten, die bei den Debatten in der Alma Mater dieser jungen Leute ans Licht kamen. Als die Sowjetunion in Afghanistan einfiel, gab es viele Zeitungen, die keine Kritik äußerten, und etliche erwähnten die sowjetischen Gräueltaten in diesem Land erst, als sie im eigenen Land kritisiert wurden. Dieses Phänomen des langlebigen und alles durchdringenden Mythos von der Sowjetunion als der Fackelträgerin für die gesamte Menschheit kann an der Geschichte der sowjetischen Invasion in Afghanistan und der Haltung der Medien in dieser Sache sehr schön nachvollzogen werden.
    Unsere kleine Gruppe begann sich 1943 und 1944 , fast unmittelbar nach der Gründung, aufgrund innerer »Widersprüche« – ein Wort, das wir permanent im Munde führten – gleich wieder zu spalten. Und Frank Cooper war die zerstörerische Kraft dabei. Gottfried und Ken kamen zu dem Schluss, dass das Niveau unseres politischen Bewusstseins zu niedrig sei, und meinten, dass wir mehr politische Bildung bräuchten. Frank hasste alle Theorie, verließ uns und nahm dabei die Genossen aus der Royal Air Force mit – das heißt diejenigen, die mit uns gemeinsam angefangen hatten. Es dauerte lange, bis wir einen weiteren Grund für unser Scheitern erkannten. Die meisten von uns waren über die Literatur zum Sozialismus gekommen – über Abendschulen, über persönliche und private Abenteuer mit Büchern. Wir hatten uns vollgesogen mit der Kultur – die in diesem Fall europäisch war und nicht nur britisch. Kurz gesagt, wir empfanden die Sprache und die Schlagworte des Kommunismus immer deutlicher als infantil, obwohl wir das nie laut gesagt hätten. Binnen zwei Jahren nach der Gründung bestand die Gruppe zum größten Teil aus Neulingen, und unsere Organisation begann langsam auseinanderzubrechen. Doch das bedeutete nicht, dass wir uns nicht selbst für Kommunisten hielten. Frank Cooper war nach England zurückversetzt worden, wegen seiner politischen Aktivitäten, wie er behauptete – vielleicht stimmt das, vielleicht auch nicht. Einige Piloten hatten ihre Ausbildung beendet und uns verlassen, andere kamen neu dazu. Viele Flüchtlinge, die sich aufgrund der mangelnden geistigen Anregungen in Salisbury von uns angezogen gefühlt hatten, besuchten die Treffen von »Race Relations« und des Left Club. Kurz gesagt, es waren nur noch ein paar der Gründungsmitglieder übrig.
    Heute wäre es mir lieb, wenn ich Fotos hätte, aber wir waren damals viel zu beschäftigt und auf jeden Fall auch viel zu hochmütig für solche spießigen Unternehmungen. Ich kann mir gut vorstellen, wie es gewesen wäre: »Ich würde gern einen Schnapp- schuss von uns allen machen, wenn’s euch nichts ausmacht.« Was für ein Hohngelächter. Außerdem konnte das Foto in die Hände des CID fallen. Wir waren alle paranoid – im Großen und Ganzen ein wohltuendes Gefühl, denn der Gedanke, dass sich die Geheimdienste mit den eigenen Unternehmungen beschäftigen, verleiht einem Bedeutung.
    Es gibt keine Fotos, und trotzdem habe ich mich vor gar nicht so langer Zeit selbst gesehen. Bei einem großen Treffen in London, ich weiß nicht mehr, worum es ging, kam sie hüpfend den Gang

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